Wisla

Ein Aspekt von Josef Dabernigs Film "Wisla" ist die Thematisierung von Vorstellung als eine zwischen Künstler und Betrachter für die Rezeption von Kunst erforderliche Vereinbarung über die Bereitschaft zur Imagination. Wo im konventionellen Kino die Plausibilität von Leerstellen und behaupteten Zusammenhängen durch Tarnung mit allen zur Verfügung stehenden Spezialeffekten gewährleistet werden will, führt Wisla eben diese Leerstellen und Diskrepanzen zwischen bildhaft behaupteter und konkreter Wirklichkeit ausdrücklich vor. Das scheinbar von fußballtypischen Schlachtgesängen lärmerfüllte Stadion, in dem die beiden Darsteller ihre Rolle als Trainergespann geben, ist in Wirklichkeit ein leeres, verwahrlostes Stadion. Kamerafahrten über leere Ränge und Tribünen belegen diese Realität; die Lautsprecherdurchsagen etwa von Tabellenständen aus der italienischen Meisterschaft passen nicht zur umgebenden architektonischen Verortung des Stadions in Polen. Dennoch scheint die Fiktion zu gelingen. Im Zusammenspiel von vorstellungskonformen Codes (die als typisch bekannten Trainergesten der Darsteller) und schlüssigen, wenn auch zeitlich stark gerafften Handlungsabläufen kann das Übereinkommen über die Bereitschaft zur Imagination seine Wirkung entfalten. Da, wo die brüchigen und diskrepanten Vorgaben ausdrücklich zur Imagination auffordern, bleibt die für Reflexion und Kritik erforderliche Distanz erhalten. Der Film von Josef Dabernig spannt darüberhinaus auch einen Raum der Ambiguität und des Wechselspiels zwischen Betrachter und Betrachtetem. Die häufig frontal auf die Darsteller gerichtete Kamera im Verein mit den in den imaginierten Bildvordergrund dirigierten Anweisungen des Trainers verunsichert die in der Kunstrezeption vorausgesetzte Eindeutigkeit einer Rollenzuweisung. Wer beobachtet wen? Die Anweisungen des Trainers könnten durchaus auch an den Betrachter gerichtet sein. Oder allgemeiner, Kommentare sein - zur Wirklichkeit vor der Leinwand.

Wir müssen heute noch an Ihr Vorstellungsvermögen appelieren, um im Namen der Kunst vor- und rücksichtslos den Raum zu behaupten, in den Sie oder wir uns gedrängt haben. Mit welchem Recht, fragen Sie jetzt sicherlich. Kölnischer Kunstverein, 2003

Kathrin Rhomberg
2003