Vyriškimo perspektyvos

(Übersetzung aus dem litauischen: ÖB Wilna)

Perspektiven der Männlichkeit

„Drei Männer, drei Autos, drei Obsessionen: mysteriöse Andeutungen reifen zu konkreten Handlungen, im geschützten Raum aus Glas, Chrom und Blech wird gezeichnet, meditiert und fotografiert“, so schreibt der österreichische Künstler Josef Dabernig über seinen Film “automatic”, einem Co-Projekt mit G.R.A.M.
Männer, Autos und Manien in wechselhaften Erscheinungen sind Teil aller fünf Filme von Dabernig, die im Zentrum für moderne Kunst gezeigt werden: Männer steigen 20 Minuten lang zu einer Alm in den Bergen auf, um eine Telefonzelle zu reparieren („Timau“, gemeinsam mit Markus Scherer), fahren mit dem Auto zum Joggen („Jogging“), waschen den Restaurantwaggon eines Zuges („WARS“), verfolgen ein erdachtes Fussballspiel („Wisla“) und hantieren an Autos herum („automatic“, mit G.R.A.M.). Unter den handelnden Personen ist nur eine Frau, die mit lackierten Fingernägeln stereotyp auf die Theke neben der auf Null stehenden Rechenmaschine klopft, um dann mit genauso gleichgültigem Gesichtsausdruck die Tischbeine im Restaurantwaggon zu polieren. Mit dem Versprechen, über Josef Dabernig zu schreiben, bin ich auf die mir neue Problematik der Männlichkeit gestoßen.
Arturas Tereskinas, vielleicht die einzige Autorität zu dieser Frage in Litauen, schreibt in seinem Buch „Die Körperzeichen“ folgendes: „Das Männlichkeitsthema scheint für viele trivial. Man ist verleitet zu denken, Männlichkeit sei selbstverständlich. Wer weiß nicht, was es ist, männlich zu sein, oder wenigstens wie dies aussehen sollte?“ Die Muskeln, die Kraft, die unterdrückten Gefühle, und manchmal die Vernunft, das sind die „Normen“, nach denen jeder Mann gemessen wird (ich weiß nicht, wie ernst ich bei diesem Thema bleiben kann). Der Brunnen der männlichen Seele, den in den Zeiten des Patriarchats verschiedene Denker ausgegraben haben, ist heute von feministischen Steinen verschüttet, Götter und Helden sind durch Politiker und Geschäftsleute ersetzt worden. Alle Anzeichen weisen darauf hin, dass Tereskinas Recht hat, denn die ebenfalls im Zentrum für moderne Kunst ausgestellte und ständig in das Rattern des Zuges von Dabernig eindringende Videoinstallation von Emmanuelle Antille, die versteckt einige frauliche Stellen andeutet, ist von besonderer Aktualität. Hier soll es aber um Dabernig gehen und seine Männer, die Autos und die Manien: Fünf kurze Filme über die neue Männlichkeit (und mehr). Für mich ist es eine unheimliche Aufgabe, über etwas zu schreiben, das ich nicht kenne, obwohl es für Männer über Jahrhunderte hinweg kein Problem war, kenntnissvollen Unsinn über Frauen zu verbreiten.
Früher war ich der gleichen Meinung wie Tereskinas, dass „es falsch ist, die Unterschiede der Geschlechter mit biologischen Fakten zu unterstützen“. Denn zu lange und zu aggressiv hat man das Gegenteil behauptet, um die absolute Minderwertigkeit der Frauen zu beweisen. Jetzt hat die feministische Kritik uns vom Gegenteil überzeugt und Geschlechtsstereotypen werden von der sozialen Umgebung geschaffen und eingeführt, das Kind wird von Geburt an „modelliert“, indem man ihr das spezifische Spiel, besondere Beschäftigungen oder Kleider anbietet. Die Erfahrung hat mich aber gelehrt, diese Behauptungen zu bezweifeln. Ich habe mir Mühe gegeben, meinen Sohn nicht zu „modellieren“,habe ihm nicht zum Spiel mit Spielzeugautos gedrängt sondern seinen Wunsch, „Frauenarbeiten“ zu machen unterstützt, also Geschirr abzuspülen, Wäsche zu waschen, Staub zu saugen, Blumen zu gießen. Doch während unseres täglichen Spazierganges weckt mein Zweijähriger die Straßen mit seinem Geschrei auf: Flugzeug! Motorrad! Traktor! Lastauto! Müllwagen! Nur mit ihm bemerke ich in der Altstadt von Vilnius die vielen riesigen Maschinen, wie exotisch sie sind, und ihre ästhetische Konstruktion. Die Leidenschaft für Technik ist einfach von selbst gekommen, von nirgendwo, gegen alle meine Erwartungen. Ich beginne heimlich zu vermuten, dass das Blut der Männer schon von Geburt an ein bisschen mit Benzin verschmutzt ist. Aber kehren wir zu Dabernig und seinen Männern in den Autos zurück.
„Die männliche Identität wird durch die Begegnung des Mannes mit dem Auto wieder hergestellt“, so erinnert uns Tereskinas an allgemein bekannte Wahrheiten. Kino und Geschlechtertheorie haben diese Relation bereits aus zahllosen Perspektiven behandelt: von der Fetischisierung der Technik, der immer mehr gesteigerten Leistung von Autos, die die biologische Kraft des männlichen Körpers substituiert, bis zur formalen Ähnlichkeit mit „Organen” verschiedener Werkzeuge, wie dem Teleobjektiv von Fotoapparaten oder der visuellen „Muskulatur“ von Automobilen. Das alles findet sich in den Filmen von Dabernig. Wenigstens in zwei von ihnen, „automatic“ und „Jogging“, sind Männer nicht von ihren Transportmitteln zu trennen.
In „automatic“ genießt die Kamera die gemusterte Oberfläche der Räder, die Biegung des verdreckten Auspuffrohres, die Wölbung des veraltet wirkenden Türschlosses und die Eleganz des leicht gerippten Armaturenbretts, was ganz im Widerspruch zu der aus einer anderen sozialen Schicht vorgedrungenen Trainingshose des Autofahrers zu stehen scheint. Dabernig und G.R.A.M. bewundern die „Symbole der Freiheit“ und schauen dabei jedoch auch ein wenig ironisch auf die Verwandtschaft von Männern mit Autos. Die sich mit vornehmen (Zeichnen, Musikhören) und unsittlichen (Fotografieren mit einer Telekamera ist immer voyeuristisch) Tätigkeiten beschäftigten Männer sind in diese Freiheitssymbole eingeschlossen: Die Kamera beobachtet sie aus der Entfernung, durch eine mückenverdreckte Fensterscheibe. Und ist einmal nicht zu sehen, was sie tun, so kann man bei der Interpretation ihrer rhythmischen Bewegungen leicht einen Fehler begehen, denn in einem Kinofilm ist eine solche Anspielung ja bereits ein eindeutiger Hinweis darauf, daß es sich um sexuelle Aktivitäten handelt.
Doch in Wirklichkeit ist Routine die Substanz, in der Dabernigs Männer stecken bleiben. Das tägliche sinnlose Reinigen des Zugwaggons, obwohl von niemanden genutzt, von Dabernig symbolhaft als „geistige Säuberung“ bezeichnet, oder die Fahrt zum Stadion, das Besteigen eines bekannten Berges. Auch ein Fußballspiel ist nur eine Routine, die aus Zurufen des Publikums, der Reaktionen der Trainer und deren Leidenschaften besteht. Alle von den Darstellern sorgfältig inszenierten Ereignisse sind alltäglich, eigentlich keine Sensationen. Der Eindruck, den ein 16mm Streifen erzeugt, entsteht aus ganz anderen Überlegungen: durch die schwarzweiße Transformation der Wirklichkeit, die von der Kamera festgehaltenen „utopischen“ Formen und schließlich durch Zitate aus verschiedenen Kinogattungen (SciFi, Krimi, RoadMovie). Das Erscheinen eines raumschiffähnlichen Stadions am Ende des Films überführt eine banale Handlung, die Fahrt zum Jogging nämlich, in eine andere Dimension: durch die an eine Mondlandschaft erinnernde Szenerie erscheint diese Fahrt wie die Landung eines Raumschiffs! Dabernigs Manie ist Routine, dessen Korsett er subtil unterläuft.
Obwohl Dabernig über Manien der Männer spricht, sind seine Filme betont leidenschaftslos. In dieser geregelten Welt wird keiner der Beteiligten von Passionen ergriffen: Im Fußballstadion hinterlassen die Zurufe der Fans keine Spur in den Gesichtern der Männer, die dieses „Spiel“ verfolge. Dies wird durch die Gegenläufigkeit der Bild- und der Tonspur bewirkt. Elektronisches Gebell der Hunde, die beim Zuhören der sphärischen Musik entstehende Stille, welche die Handlungen der in den Autos eingeschlossenen Männer durchbricht, und ein Ton, der die langsamen Bewegungen im Gebirge zerschneidet - all dies wirft die Handlung in andere, auf dem Bildschirm unsichtbare, Dimension. Die Akteure, die auf den Laut nicht reagieren, bleiben zurück, als wären sie nur marionettenhaft sich bewegende Körper. Durch die Trennung der Bild- und Tonspur schafft Dabernig eine unüberwindliche Lücke zwischen Leidenschaften und handelnden Personen, als ob die Leidenschaften Phänomen einer fremden Realität wären. Hier haben Autos mehr Gefühle.
Die gefühllosen Männer von Dabernig müssen mit oder ohne „Krücken“ (wie z.B. Autos) Räume besiegen. Dies ist ein weiteres Stereotyp der Männlichkeit. Doch anstelle dieses für das Massenkino so charakteristischen gezielten Drangs tritt hier ein langer zweifelnder Blick durch die Fensterscheibe eines fahrenden Autos oder Zuges in die Ferne. Um in einer Stadt irgendwohin zu gelangen, muss man unendlich weite und öde Landschaften durchqueren: Die durchsichtige, nichts versprechende und deswegen uninteressante Gerade der breiten Straße, die Monotonie der sich wiederholenden Masten, die lose verstreuten Industriebauten und die sich dazwischen erstreckenden Öden, wo die an Langeweile sterbende Seele heult. Möglichst schnell zu durchqueren, ohne sich umzusehen, und dabei an etwas anderes denkend - so wird gewöhnlich ein städtischer Raum erlebt, wo Orte wie Parks oder die Altstadt kleine visuelle Oasen sind. Die Kamera gleitet am Panorama eines neuen Wohnbezirkes entlang, in dem der Horizont durch die Spitzen der Hochhäuser „belebt“ wird („Wisla“). An den Zugfenstern ziehen überall in der Welt gleich aussehende Industriebauten vorüber. Dabernigs Männer scheinen beim Hinschauen in diese Ferne zu meditieren. Doch es ist ja eine männliche Ferne!
Diese Räume wurden geschaffen, um die technologischen Erfordernisse des Menschen zu befriedigen, sie sind ein Nebenprodukt dieses Vorgangs. Wohl deswegen sind sie anonym und nicht zu identifizieren. Der Zug, das Stadion oder die Garage sind abstrakt und könnten in einer beliebigen Stadt, einem beliebigen Land oder Erdteil gefilmt worden sein. Die hier von der Kamera „zufällig“ entdeckten Worte, die später zu Filmbenennungen werden, scheinen genauso keiner konkreten (oder gar keiner) Sprache anzugehören und sind schwer zu interpretieren: Was das Wort „WARS“ bedeutet, konnte ich nicht herausfinden. Die englischen „Kriege“ werden es wohl nicht sein (obwohl dies zum Thema Männlichkeit gerade passen würde)? Genauso sind die im Speisewagen aufgereihten Lebensmittel - Chips, Nüsse und Erfrischungsgetränke - ein internationales Mittel zum Vollstopfen des Bauches. Dabernigs Räume gehören also niemanden. Es sind kulturelle Zwischenräume, in welche nur Niemands-Menschen gelangen können, ohne Vergangenheit und ohne Zukunft, in gründlicher Verwirklichung symbolischer Narrative.
Mit dem Verzicht auf die Identifizierung der Räume und ihrer Zugehörigkeit zu einer konkreten Region nimmt Dabernig dem Zuschauer die Möglichkeit, sich gemütlich zu fühlen. Nicht identifizierte Orte sind nie gemütlich. Durch diese Orte irrend, kann man kein „Zuhause“ finden, man fühlt sich verbannt. Es ist nicht nur eine Möglichkeit, den Gefühlszustand eines Durchschnittsmenschen zu zeigen, sondern auch ein Weg, das Geheimnis zu bewahren. Dabernig zeigt nur eben so viel, um den Zuschauer am Bildschirm zu behalten: Eine Handlung vom Anfang bis zum Ende, einige Fragmente der Umgebung. Er lässt die Spannung wachsen indem er die Langeweile durch einige Nahaufnahmen durchbricht. Man wartet darauf, dass etwas passiert, doch es passiert nichts Besonderes. Über die Gründe oder Ziele der „handelnden Personen“ erfährt man nichts. Das Narrativ ist irgendwie destilliert. Was passiert mit dem Fahrer im Film „Jogging“, wenn zum Schluss die Kamera und der Himmel ineinander stürzten und nur ein heller Fleck zurückbleibt? Wurde er von bösen Hunden oder Außerirdischen überfallen, die mit einem Stadion-Raumschiff dahergeflogen kamen? Dabernig lässt seine neugierig gemachten Zuschauer in den sausenden hellen Fleck starren, die kosmische Musik von Olga Neuwirth bohrt inzwischen ein ähnliches Loch in ihre Köpfe. So lässt er uns in „Wisla“ das sich vor den Augen der vermeintlichen Trainer erstreckende Stadion nicht erblicken. Die Bediensteten der Bar in „WARS“ bekommen keinen Kunden zu sehen, die Handlung ihres Lebens bleibt eingeschlossen in einem Waggon. Wir wissen weder wann, noch warum oder wo, wir sehen allein eine aus der Alltäglichkeit ausgeschnittene Tatsache und einen diese Tatsache umgebenden Raum, der in allen Filmen der gleiche zu sein scheint. Die Handlungen, welche als Rudimente einer unbekannten Routine wirken, hängen wurzellos im Raum. Schon deswegen scheinen sie sinnlos zu sein und ihre schon fast wahnsinnig skrupulöse (eine weitere Manie?) Ausführung könnte einen Versuch bedeuten, den Sinn zu finden oder dessen Fehlen zu vertuschen.
Lassen wir uns an ein weiteres Stereotypenpaar denken. Bei der Beschreibung veralteter Denkweisen zur Frage der Geschlechter schreibt Luce Irigaray: “Was ist bei den Geschlechtern anders? Die Weiblichkeit erlebt man wie einen Raum, doch oft mit Konnotationen eines Untergrunds und der Dunkelheit (Gott heißt Raum und Licht) und die Männlichkeit erlebt man wie die Zeit.” Der Raum ist in Dabernigs Filmen durch Technologien vernichtet und die Zeit durch Routine abgenutzt. Durch Verlangsamung der Handlung und Vernichtung des Raumes lässt uns Dabernig Zeit, die Gegenwart zu erleben. Doch diese ist leider leer. „Durch die Eisenbahnen wird der Raum getötet, und es bleibt nur noch die Zeit übrig“, schrieb Heinrich Heine, und es könnten Dabernigs Filme gemeint sein. Was ist dann die Perspektive der Männlichkeit?

“Siaures atenai”, Vilnius, 3.August 2002, Nr. 29 (615)

Agnė Narušytė
2002