Von Wisla bis WARS und darüber hinaus – oder: Ordnung ist das halbe Leben …

„Stativkamera fixiert 15 sec lang oberen Tribünenrand mit Architektur/Landschaft im Stadionhintergrund bei gleichzeitiger Akustik vom Stadioninneren = Dialog der Chöre. Platzsprecher verliest die Mannschaftsaufstellung, Kamera schwenkt horizontal über Tribünendach/Stadionhintergrund oder zoomt in den Vordergrund (von hinten zur Tribünenbegrenzung) – 15 sec – Schnitt – Handkamera ca. 150 cm hoch nimmt im Tunnel die Trainer in Bewegung von der Seite, kein Ton (oder gedämpftes Geräusch von außen) – 10 sec – Schnitt – Stadionlärm. Stativkamera zoomt frontal in den Tunnel und nimmt die Trainer in den Vordergrund – 15 sec – und schwenkt mit ihnen nach rechts auf die Trainerbank – 10 sec – Trainer setzen sich langsam – 30 sec – Schnitt – Stativkamera frontal vor Trainerbank: Trainer checkt die Uhr, sonst teilnahmslos, …“1 Das Spiel kann beginnen.

So weit, so klar. Oder auch nicht. Genau genommen läuft die Partie bereits, läuft ein Schauspiel über ein Schauspiel, das konsequent ausgeblendet bleibt. Wir befinden uns in Minute zwei. Es folgen ausführliche Detailstudien der beiden Trainer, die konzentriert eine für uns uneinsehbare Handlung auf dem Spielfeld beobachten. Begleitet von Fan-Gesängen und Pfiffen geht das Match zu Ende: auf der Anzeigetafel leuchtet ein 0:0, ein nochmaliger Schwenk über das leere Wisla-Stadion in Krakau und schließlich Händeschütteln der beiden Trainer mit vier „Personen in tadellosen Anzügen“ auf einer leeren Spezialtribüne. Abblende und Spiel-Film-Ende.

Von welchem Spiel ist hier die Rede? Die zentrale Handlung in Josef Dabernigs Film Wisla erschließt sich nur indirekt: über aufmerksame Blicke, minimale Reaktionen und sporadische Gesten zweier Trainer in „Technokratenanzügen“, über die Gesänge und verbalen Reaktionen einer stattlichen Anzahl von Fußballbegeisterten, die allem Anschein nach einem „wichtigen“ Spiel folgen. Und sie erschließt sich über deren Kontext, das Davor und Danach, den Einmarsch und die Gratulation, sowie den Ort des Geschehens und seine Umgebung – gezeigt mit zwei Schwenks über eine fragmentarisch zu erkennende neoklassizistische Stadionarchitektur mit funktionalistischen Plattenbauten im Hintergrund.

Wo das Spiel beginnt oder Wisla endet, lässt sich nicht eindeutig sagen. Denn ebenso wie das leere imaginäre Zentrum des Films die Handlung an Vermittlungsinstanzen bzw. den Kontext delegiert und so das Spielfeld entscheidend erweitert, beginnt Josef Dabernigs filmische Arbeit nicht erst mit der Aufblende. Das Eingangszitat für diesen Text stammt aus dem Drehkonzept für den Kurzfilm ‚Wisla’, s/w, Ton, 5 min, das als Teil der künstlerischen Arbeit ganz bewusst auf Seite 71 dieses Katalogs publiziert ist. Die ebenso präzise wie mechanische Sprache korrespondiert darin mit einer geradezu mathematischen Zeitordnung, die im Film selbst etwas modifiziert wurde. Dabernigs Einbeziehung des Konzepts erweitert den Status des Werks, lokalisiert den Film im Zwischenbereich von Bildender Kunst, Angewandter Kunst und Kinematografie und verbindet ihn insofern konsequent mit verschiedenen Tätigkeitsfeldern.2 Damit aber nicht genug. Der Künstler ist nicht nur Autor, Produzent und Regisseur von Wisla, er ist darin auch der Hauptdarsteller. Nicht zufällig interpretieren daher verschiedene KommentatorInnen das imaginäre Spiel im polnischen Stadion als Allegorie auf den Kunstbetrieb, in dem diese Arbeit regelmäßig gezeigt wird.3 Durch Dabernigs gleichzeitige Präsenz innerhalb und außerhalb des Films wird die imaginäre Handlung übertragbar. Entsprechendes gilt für die Hände schüttelnden Vertreter der herrschenden Ordnung am Film-Ende: unter ihnen der ehemalige Generalkonsul der Republik Österreich in Krakau, der Direktor des Theater Ludowy in Krakau und der langjährige Präsident des Sportklubs T.S. Wisla. Sie sind und spielen Repräsentanten divergenter Sphären, auf die sich Wisla gleichermaßen beziehen lässt.
Josef Dabernigs Wisla handelt so gesehen zunächst von Grenzen, von fragwürdigen Trennungen in Text – Kontext, Film – Off oder Werk – Alltag, von Übertragungen, Spiegelungen und Verschiebungen im Verhältnis von imaginären und realen Ordnungen, im Verhältnis von Handlungen und Repräsentationen.

Zurück zum leeren Zentrum, zur imaginären Handlung, die von verschiedenen weiteren Auslassungen und „Mängeln“ begleitet wird. Zurück zu einem Spiel ohne Zuschauer, zu menschenleeren Wohnanlagen in der Umgebung, zu einer ziemlich mitgenommenen Stadionarchitektur und schließlich zu zwei Trainern, die nur noch zuschauen können, wie ihre Arbeit umgesetzt wird und dieses „Zum-Zuschauen-verdammt-Sein“ emotionslos und abgeklärt exekutieren. Die „Leere“ in Wisla ist nie absolut, d.h. nicht zu verwechseln mit einem pathetischen existenzialistischen Nichts, in dem der Andere die Hölle ist. Die Trainer sind keine allein mit sich selbst beschäftigten, an sich und ihrer Entfremdung leidenden Subjekte. Ganz im Gegenteil. Die Leerstellen, Abwesenheiten und Lücken in Wisla sind stets relational. Sie haben konkrete Rückbindungen an gesellschaftliche Ideale, Pläne und Ordnungen, an exakte Strukturen und Systeme, in und zwischen denen sie entstehen. Die Trainer beispielsweise machen ihren Job, und sie machen ihn höchst professionell. Auch die Ausblendung des Spiels und die visuelle Abwesenheit der Zuschauer münden nicht in grundsätzliche Sinnfragen oder in essentialistische Selbstbezüglichkeiten. Sie werden durch eine dynamische Tonspur und durch Verweise auf die „Rahmenereignisse eines Fußballspiels“ kompensiert. Gleichzeitig lenken sie die Aufmerksamkeit auf die Gesetze der Repräsentation und auf die Ordnung des (filmischen) Schauspiels mit seinen identifikatorischen Angeboten und imaginären Konstruktionen. Die „Mängel“ und „Lücken“ der Stadion- und Plattenbauarchitekturen wiederum ergeben sich aus den inneren Widersprüchen hochgradig technokratischer Systeme. Elemente einer abgewirtschafteten faschistoiden Repräsentationsarchitektur im Vordergrund, überzogene Planungs- und Normierungsphantasmen als „Framing“. Letztlich sind für Wisla, und darüber hinaus für Josef Dabernigs Arbeiten im Allgemeinen, Ordnungen und normative Strukturen ebenso entscheidend wie Abwesenheiten oder Auslassungen. Keine rationale Totalität ohne ihre Leerstelle, keine systematische Ordnung ohne ihr zentrales Gegenstück, das als „Mangel“ oder Loch in einem Netz symbolischer Strukturen die Betrachterin und den Betrachter zum imaginären Mit-Spiel aufruft. Einmal ins Spiel eingestiegen, verliert die eben skizzierte Dialektik nichts an Spannung. Ansagen italienischer Tabellenstände in einer polnischen Architektur beispielsweise tragen kaum zur kohärenten Fortschreibung der narrativen Ordnung bei. Und dennoch liefern Ton und Bild genug „Handlung“, Anhalts- und neuerliche Einstiegspunkte, um als Betrachterin und Betrachter bei der Sache zu bleiben und kontinuierlich an der eigenen Position in diesem Spiel zu arbeiten. Wisla endet mit einer Standardsituation: ein paradigmatisches Repräsentationsritual mit vier Apparatschiks im Zentrum. Die Kamera zoomt zurück, weitet das Bildfeld und lokalisiert das Geschehen: eine leere Zuschauertribüne. Auch die Trainer sind anwesend, sie gehen zur Seite und markieren den Spiel-Film-Rand. Aus dem Off kommen Pfiffe einer emotionalisierten Menge, Zeichen eines mannigfaltigen Zusammenspiels der anderen Art. Und die honorigen Repräsentanten lächeln routiniert. Wisla als Match zwischen Ordnung und Leerlauf, „Macht und Ohnmacht“ endet nach abwechslungsreichem Verlauf 0:0, unentschieden.

Fünf Jahre nach Wisla dreht Josef Dabernig in einem Speisewagen der polnischen Eisenbahngesellschaft PKP ,WARS‘, 16mm, s/w, 10 min. Der Film beginnt mit einer statischen Einstellung „frontal auf den schwarzen Fenstervorhang mit dahinter bewegter (Stadt)Landschaft“.4 Zu hören sind Fahrgeräusche und das monotone Klopfen der Geleise. Die Fensterscheibe ist trüb, die Bewegung passiv: Stillstand in der Fortbewegung. In den folgenden Sequenzen verdichtet Josef Dabernig diesen Eindruck weiter. Wir sehen eine leere Küche, einen am Fenster lehnenden, Fingernägel putzenden Kellner, ein unberührtes Getränke- und Snack-Arrangement und schließlich in einer Totalen den leeren Speiseraum samt Kellner links und einer sitzenden Kellnerin weiter rechts. Der Raum ist in Bewegung – ganz im Gegensatz zu seinem Inneren, wo Gäste und Handlungen ausbleiben. „Jede Aktion erscheint passiv, durch das Fahrwerk, die Gleisbeschaffenheit, die Streckenführung, das Raumklima usw. konditioniert“.5 Nach einigen Minuten blicken wir an der Kasse auf die vorläufige Bilanz: 0.0, ein weiteres Nullsummenspiel, wie es scheint.
Die hier zur Diskussion stehende Leere ist ebenso geordnet wie verordnet. Serielle und orthogonale Strukturen formen ein modernistisches Interieur, in dem alles nach Plan läuft. Einmal in Gang gesetzt gibt es aus diesem geschlossenen System kein Entkommen. So verrichtet denn auch das Personal seinen Dienst streng nach Vorschrift. Den physischen, psychischen und ökonomischen Ordnungen dieses Raumes unterworfen, wird zunächst gewartet. Jedwede darüber hinaus gehende Handlung oder Kommunikation unterbleibt. Fremdbestimmt von Schiene und Arbeitgeber geht es Richtung Endbahnhof.
Erst am Schluss des Films und der Fahrt ändert sich die Situation. Mit der Abrechnung kommt Dynamik auf, und das Servicepersonal samt Koch beginnt exzessiv zu putzen. Sinn ergibt das zwar keinen, aber wer fragt schon nach dem Sinn, wenn es einen Plan und ein System gibt, die es zu exekutieren gilt und die jede Handlung exakt diktieren.
Die systematische Leere in WARS lässt sich mit geläufigen Begriffen oder Gegensatzpaaren nur schwer fassen. Sie vereint Stillstand und Bewegung, Passivität und Aktivität, Apathie und Engagement. Warten und Putzen sind zwei Seiten derselben Medaille und resultieren aus einer totalitären Struktur, die das Außen nur durch die (Fenster-)Scheibe und das Leben nur als geschlossene symbolische Ordnung mit planmäßigen Wiederholungen kennt.

Wisla wie WARS thematisieren die strukturellen Korrelationen von Ordnung und Leerlauf als Konsequenz absoluter Abschließung und Innen/Außen-Trennung. Im Zentrum der jeweiligen Systeme stehen Subjekte, deren Status von Josef Dabernig sowohl über den Filminhalt als auch über die filmische Struktur diskutiert wird. Die Leerstellen und Apparate, um die es in seinen Filmen geht, sind gleichzeitig Leerstellen und Apparate, die die filmische Repräsentation selbst reflektieren, die demonstrieren, wie der Film (mit dem betrachtenden und dem betrachteten Subjekt) verfährt.
In WARS greifen, wie bereits zuvor bei Wisla, Handlungs- und Darstellungsebene gleich mehrfach ineinander. An der weitestgehenden Determination des Speisewagenpersonals kann kaum Zweifel bestehen. Was diesem Faktum jedoch besondere Brisanz verleiht, sind nicht nur aufmerksam beobachtete Details und Widersprüche oder die Bezüge zu konkreten ökonomischen Systemen zwischen Planwirtschaft und Kapitalismus. Es ist darüber hinaus die Art und Weise, wie diese Fremdbestimmtheit dargestellt, d.h. auf das betrachtende Subjekt bezogen wird.
Wie erwähnt beginnt der Film mit statischen Einstellungen aus dem Fenster, in die Küche und auf Personen, die durch die Fahrt ebenso geschüttelt werden, wie ein sorgfältig zusammengestelltes „Potpourri aus Chips, Nuts, Kaugummi und Getränken“.6 Die Bilder scheinen objektiv, vom Geschehen selbst unbeeinflusst. Mit fortdauernder Fahrt relativiert sich diese „neutrale“ Außen-Sicht. Einem ersten nach unten gerichteten Blick auf die eigene karierte Hose mit anschließendem Schwenk nach oben folgt etwas später ein subjektiver Blick auf die Rechenmaschine mit Frauenhänden. Einer unscharfen, sich langsam fokussierenden Einstellung auf den Schriftzug WARS folgt der Gegenschuss auf das Gesicht des aus dem Halbschlaf gerüttelten Kellners. Bei genauerer Beobachtung entpuppen sich fast alle Bilder in und aus dem Speisewagen als Blicke der darin agierenden Subjekte. Kaum eine distanziert oder objektiv geglaubte Beobachtung, die sich nicht unmittelbar aus der räumlichen und narrativen Struktur des Films und der Sicht seiner determinierten ProtagonistInnen ableitet. Wird hier die Zuschauerin oder der Zuschauer mit einer geschlossenen symbolischen Ordnung kurzgeschlossen, in der Handeln und Sehen in eins gesetzt sind?

Die neuere Filmtheorie stützt ihre Darstellungen und Erklärungen, wie das Subjekt mit dem klassischen narrativen Film verbunden wird, maßgeblich auf psychoanalytische Grundlagen. Unter dem Begriff der „Suture“ (Naht) haben Oudard, Heath, Dayan, Silverman u.a. ein Modell ausgearbeitet, in dem das Subjekt durch ein gebrochenes imaginäres Verhältnis von Auge und Kamera in die Handlung eingeführt wird. Die TheoretikerInnen der „Suture“ gehen von der Annahme aus, dass es beim Betrachten eines Films einen ursprünglichen „Moment reiner Freude am Bild“ gibt, der jedoch durch die Bewusstwerdung des „Frame“, der Begrenztheit der filmischen Abbildung und der Kontrolle des Blicks durch einen „unsichtbaren Anderen“ gestört wird. – In WARS beispielsweise wird der Frame bereits mit der ersten frontalen Aufnahme des gerahmten Fensters samt dahinter „wie im Film“ vorbeiziehender Landschaft betont. Die folgenden stark ausschnitthaften Einstellungen unterstreichen die Bildgrenzen weiter. – Kompensiert wird dieser Verlust durch eine Re-Markierung des Blicks im Bild selbst. An die Stelle der abwesenden blickenden Instanz tritt der subjektive Blick eines Darstellers oder einer Darstellerin. Insbesondere im Verfahren von Schuss/Gegenschuss wird der zunächst beunruhigende Blick der Kamera motiviert. Das zu sehen Gegebene verweist nun nicht mehr auf einen abwesenden „Anderen“, sondern auf eine bekannte Person, die kurz zuvor noch dem Blick des Zuschauers unterworfen war. Im Sinne von Daniel Dayan kann der Zuschauer / die Zuschauerin die frühere Beziehung zum Film wieder aufnehmen. Der Gegenschuss hat das Loch ‚suturiert‘, das sich im imaginären Verhältnis des Zuschauers zum filmischen Feld (durch seine Wahrnehmung des Abwesenden) geöffnet hat.7 Auch wenn an dieser Stelle betont werden muss, dass die imaginäre Kompensation der Abwesenheit immer nur unvollständig sein kann und „Suture“ , wie etwa Heath feststellt, als permanenter Prozess zu verstehen ist, so sind sich die VertreterInnen dieses Modells bei aller Unterschiedlichkeit doch einig, dass der Mechanismus der „Suture“ „das Mittel liefert, durch welches das Subjekt im Diskurs hervortritt und (zumindest im Idealfall) eine Position einnimmt, die der bestehenden kulturellen Ordnung entspricht.“8
Wie nun steht es um die Positionierung und Determinierung der ZuschauerInnen von WARS bzw. um die in und mit diesem Film thematisierten Innen/Außen-Verhältnisse? Zwar sind die Blicke weitestgehend subjektiviert, doch von wenigen Ausnahmen abgesehen, geschieht dies nicht im Rahmen einer Dialektik von Schuss/Gegenschuss oder Subjekt/Objekt-Position. Die Blicke im Speisewagen sind zumeist statisch und ziehen so ihren subjektiven Ursprung kontinuierlich in Zweifel. Sie stammen zudem von drei ProtagonistInnen, d.h. sie gehen gewissermaßen im Kreis, genauer im Dreieck und sind nur schwer zuordenbar. Über welche Identifikation im Film sollte hier eine dauerhaftere „Suturierung“ (Vernähung) des Zweifels am Grund dieses Schauspiels erfolgen und damit die Subjektposition des Zuschauers oder der Zuschauerin gefestigt werden? Der Blick in WARS wechselt ständig, was im Sinne einer Vermeidung fester „Nähte“ und subjektiver Festlegungen durchaus programmatisch verstanden werden kann: Den ZuschauerInnen werden Reste der Unbestimmtheit ermöglicht und abverlangt, die die ProtagonistInnen längst verloren haben. Und selbst wenn die DarstellerInnen in WARS mitunter strukturell als StellvertreterInnen im Film in Betracht kommen, erlauben sie den Eintritt in die symbolische Ordnung nur um den Preis der Identifikation mit der durch sie repräsentierten Leere und Apathie als letzter Konsequenz der Totalisierung und dauerhaften Schließung dieser Ordnung.
„No discourse without suture (…)”9 Auch in den Filmen Josef Dabernigs kommt es selbstverständlich zu imaginären Bindungen und Verstrickungen der ZuschauerInnen. Dies geschieht jedoch in einer Weise, die die Konfrontation mit den Mechanismen und den Folgen dieser Involvierung, dieser Vernähung von Symbolischem und Imaginärem selbst mit einschließt. Es geschieht in einer Weise, die auf einer prozessualen Verkettung und temporären Suturierung widersprüchlicher Identifikationen, Interpretationen und Wahrnehmungen beruht, die die Lust am Leerlauf ebenso beinhalten, wie beunruhigende Lücken und ihre wiederholte Kompensation.

„Vernähung“ ist eine Form des Umgangs mit „Mängeln“ und Abwesenheiten. In der zweiten Hälfte von WARS stoßen wir noch auf einen weiteren Kompensations-mechanismus: Exzessives Putzen! Als Ersatzhandlung ist es per se zwar sinnlos, schafft jedoch einen dynamischen Ausgleich zur vorangegangenen Apathie und Leere. Auf kompensatorische Investitionen dieser Art stoßen wir in den filmischen Arbeiten Josef Dabernigs immer wieder. In automatic, einer Gemeinschaftsarbeit mit der Künstlergruppe G.R.A.M. aus dem Jahr 2002 beispielsweise, sitzen drei Männer in abgestellten Oldtimern und frönen ihren Obsessionen: Sie hören Musik, zeichnen und hantieren mit einer Foto-Kamera. Die Film-Kamera fokussiert dazwischen in regelmäßigen Abständen nostalgisch und erotisch aufgeladene Fahrzeugdetails. Sie verbindet die Funktionslosigkeit der in einer alten Garage abgestellten Automobile und die in ihnen demonstrierten Selbstbezüglichkeiten mit imaginären Objektfixierungen und libidinösen Substitutionsmechanismen. In diesem mehrfach invertierten Szenario, ohne konstitutives Außen, gehen Abschließung und Leerlauf Hand in Hand mit Fetischisierungen, die sich sowohl im ökonomischen Sinn als auch im psychoanalytischen Sinn verstehen lassen.
Ein Jahr später in Parking, 2003, kippt die für automatic oder WARS charakteristische Mischung aus Marx’schem Warenfetischismus und phantasmatischer Ersatzbefriedigung, wie sie von Freud analysiert wurde, ins eindeutig Sexuelle. Am Rande einer Landstraße entledigen sich zwei Männer in einem PKW ihrer Kleidung, vollführen neben dem knatternden Auto ein sadomasochistisches Spiel und ziehen sich anschließend in aller Ruhe wieder an. Die Fesselung und strenge Disziplinierung des einen Protagonisten durch seinen Partner, gespielt von Josef Dabernig selbst, erfolgt ganz offensichtlich freiwillig. Er unterwirft sich gerne Zurechtweisungen, Ordnungsdemonstrationen und schließlich Schlägen mit einer Gummimatte aus dem Auto. Aus der (phallischen) Ordnung und Unterordnung wird gleichzeitig Lust gewonnen, wobei die derart generierte Präsenz und Fülle in sich höchst widersprüchlich bleibt. Sie scheint das Ergebnis eines vorab klar geregelten Spiels zu sein, das Resultat einer artifiziellen Inszenierung, in der das Wissen um Konstruiertheit und „Fake“ zum integralen Bestandteil eines befriedigenden imaginären Prozesses geworden ist. So gesehen zeigt Parking sowohl die Regulierung des „Hormonspiegels der beiden“ („Herren in Unterwäsche“)10 als auch ein weiteres „Denkmal für den Mangel“, eine Form der Kompensation direkter Erfahrung – einen Mangel oder Verlust, der hier dezidiert geschlechtsspezifische Aspekte hat und das Verhältnis von Aktion und Repräsentation, von körperlicher und visueller Lust zur Diskussion stellt.

Nicht zufällig ist Josef Dabernig in seinem jüngsten Film Lancia Thema, 2005, wieder in demselben Wagen unterwegs, mit dessen Fußabstreifern er in Parking seinen Mitfahrer ordentlich zurechtgewiesen hat. Diesmal allerdings benutzt er eine Kamera, um sich durch wiederholtes Fotografieren seines Fahrzeugs Ausgleich und Lust zu verschaffen: eine visuelle Lust, deren Ordnung und Mechanismen auch die ZuschauerInnen seiner Filme immer wieder herausfordern und sie ihre eigenen imaginären Kompensationen beim Betrachten dieses Schau-Spiels gleichzeitig genießen und negieren lässt.


1 Josef Daberning, Drehkonzept für Kurzfilm ‚Wisla’, 16mm, s/w, Ton 5 min, S. 71 in diesem Katalog
2 Dieses Spiel mit traditionellen Werkkategorien, ihre Wiederholung und gleichzeitige Negation liegt als künstlerisches Grundprinzip nicht zuletzt auch dieser Publikation zu Grunde. Weiters unterläuft Josef Dabernig klare Abgrenzungen und Einteilungen durch die wiederholte Kooperation mit KünstlerInnen aus anderen Bereichen.
3 Vgl. u.a. Christoph Blase, Die Zwei von der leeren Bank, in: http://blitzreview.de/b-609.html
4 Josef Dabernig, Drehkonzept für Kurzfilm ‚Wars’, 16mm, s/w, Ton 9 min, S. 123 in diesem Katalog
5 Josef Dabernig, WARS, S. 125 in diesem Katalog
6 Ebenda
7 Daniel Dayan, The Tutor-Code of Classical Cinema, in: Film Quarterly Vol. 28, Nr. 1, 1974, p. 30. Vgl. auch: Stephen Heath, On Suture [1977], in Stephen Heath, Questions of Cinema, Bloomington, 1981
8 Kaja Silverman, The Subject of Semiotics [1983], dtsch. in: Kat. Suture – Phantasmen der Vollkommenheit, Salzburger Kunstverein 1994, S. 47
9 Heath, a.a.O. S. 100
10 Josef Dabernig, Parking, S. 131 in diesem Katalog

Dabernig, Josef. Film, Foto Text Objekt, Bau
Deutsch/Englisch. 212 S. mit ca. 280 s/w Abb., Herausgegeben von Barbara Steiner für GfZK Leipzig. Erschienen im Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 2005. Mit Textbeiträgen von Silvia Eiblmayr, Christian Kravagna, Matthias Michalka, Barbara Steiner und Igor Zabel

Matthias Michalka
2005