Training für den Kunstmuskel

Haben wir uns etwa verlaufen? Ambientklänge, wie wir sie aus den Wellnesszonen von Kettenhotels kennen, wie sie uns in den Foyers von Fitnessstudios einlullen, wabern uns entgegen. Sie füllen den schlanken, lang gestreckten Ausstellungsquader der Kellergalerie des Wiener MAK, den Josef Dabernig zudem durch raumteilende Wände verkürzt und in einzelne, großzügig einsehbare, nun, Kabinette unterteilt hat. Nicht falsch liegt, wer dabei an Sporthallenumkleiden oder Gemeinschaftsduschen denkt. Doch herrscht hier eine beinahe penetrante Aufgeräumtheit, dominiert ein Eindruck des Cleanen die Ausstellungssituation. Unterstrichen wird dies durch eine Aura der Fabrikneuheit, wie sie einige dazwischen aufgestellte Gymnastik- und Sportgeräte ausstrahlen: eine auf Hochglanz polierte Hantel-Pyramide etwa, blaue und rote Turnmatten, zwei grell bunte Gymnastikbälle und noch andere, genauso intensiv leuchtende wie erratisch wirkende Kunststoffobjekte, über deren Gebrauchswert sich ein aktiver Sportler sicher voll und ganz im Klaren wäre.

Bemerkenswert farbig, beinah verspielt geht es in Dabernigs aktueller Schau zu. Denn eigentlich ist Dabernig ein Künstler der Beschränkung. Seine Displaysituationen sind üblicherweise formal wie thematisch karg und setzen sich – mit dennoch ästhetisch ziemlich handfestem Charme – mit Ordnungssystemen auseinander. Sie spiegeln ebenso konkret wie metaphorisch Aspekte der Regulierung, Klassifizierung und (sozialen) Konditionierung wider. Hier aber herrscht formal ein etwas anderer Geist.

Zum Anfassen konkret ist dieses Ausstellungssetting. Es ist präsent und dennoch weit ins Unwirkliche, einen Zustand des merkwürdig Latenten entrückt. Dies mag uns zwar von früheren Präsentationen Josef Dabernigs geläufig sein – von Displays, die nie ganz „Ausstellung“ sind, weil sie sozusagen mit mehr als einem Fuß immer auch in anderen Wirklichkeiten stehen; von Installationen oder Objekten, die nicht nur ausdrücklich unkünstlerisch aussehen, sondern gerade als sie selbst, in ihrer Funktion als Regalsysteme, Gerüste und Gestelle funktionieren wollen. So gesehen erklärt sich, wieso Dabernig bislang nicht als typischer Galeriekünstler auf sich aufmerksam gemacht hat. Sicher erinnert seine oft gestenhaft wirkende Kunst mit ihren ikonografischen Anklängen an die Ästhetik der Moderne und ihrem Rückgriff auf die Register des Minimalen oberflächlich an die Arbeitsweisen etwa Heimo Zobernigs oder Gedi Sibonys, als einem jüngeren Vertreter solcher an den Kontextgrenzen mäandernder installativ-skulpturaler Praktiken.

Doch im Vergleich zu Dabernig müssten beide als geradezu heillose Schöngeister dastehen. Denn ihre minimalen Material- und Referenz-Arrangements kokettieren zwar immer mit dem „echten“ Leben außerhalb der Freihandelszone der Kunst, vermögen dabei aber nur mit allergrößtem Sicherheitsabstand aus der ästhetischen Realität heraus auf unsere Lebenswirklichkeit zu zielen. Wenn Josef Dabernig blecherne Regaleinlageböden auf dem Boden platziert oder ein modulares Aluminiumraster mit der Wand verschraubt, wenn er Möbel oder Interieurs entwirft oder Eingriffe an architektonischen Körpern oder im öffentlichen Raum vornimmt – es bleibt immer eine Unsicherheit, ob, und wenn ja, mit welcher Legitimation hier etwas Kunst sein möchte. Ob bzw. wie Dabernig selbst seinen ebenso künstlerischen wie praktischen Äußerungen diese Frage nach dem „Kunstsein“ überhaupt stellen würde.

Wem es in „Excursus on Fitness“ gelingt, sich nicht von der raumfüllend-penetranten Omnipräsenz des Eso-Wohlfühl-Geplätschers des österreichischen Ambient-Artisten Gandalf betäuben zu lassen, kann sich von dem neu für die Ausstellung produzierten Film für das geheime Leben sensibilisieren lassen, das – trotz aller Fabrikneuheit – den rätselhaften Turngeräten innewohnt. Während der knapp zwölf schwarz-weißen Filmminuten entwickelt der Künstler ein Tableau des Gebrauchs, des Rituals, der Disziplinierung: In einem Fitnessstudio, von einem misslaunig dreinsehenden Trainer überwacht, wird uns eine Gruppe verschiedener Protagonisten beim ausdauernden Absolvieren sportlich-gymnastischer Übungen vorgestellt.

Die Kamera widmet sich dabei allerdings weniger den einzelnen Akteuren als der rituellen Spezifik jenes diszipliniert-sportlichen Tuns. Geradezu als Menschmaschinen erscheinen die Turner, die ihrerseits von ihren Sportartikeln, von der Gymnastikmatte über die Hantel bis hin zum Fahrrad, buchstäblich bedient werden. Ja, die bereits vom spezifischen Sportdress, wie es die Benutzung eines Hometrainers zu erfordern scheint, konditioniert sind. Die tonlos aufgezeichnete filmische Choreografie unheimlich spezifischer Tätigkeiten korreliert aber plötzlich mit der unbehaglichen Latenz, wie sie die Ausstellungssituation als Ganzes abstrahlt. Dieser Effekt trägt uns einmal mehr Josef Dabernigs sehr spezifischen Umgang mit den Registern des Skulpturalen und Installativen an, bei dem die Grenze zwischen Kunst und Leben, aber auch zwischen Bild und Wirklichkeit, bestürzend ungeklärt bleibt. Und vielleicht deshalb umso wirkungsvoller ist.

http://www.artnet.de/magazine/josef-dabernig-in-der-mak-galerie-wien/

artnet, 15.5.2010

Hans-Jürgen Hafner
2010