Standardaufgaben und Grundsatzfragen

Die beiden hier publizierten „Kunst und Bau“-Projekte können als exemplarisch für einen künstlerischen Ansatz gelten, der sich der Probleme derartiger Aufgaben bewußt ist und ihre Reflexion in die Lösung mit einfließen läßt, ohne sie deshalb demonstrativ in den Vordergrund zu rücken.
Obwohl seit langem diskutiert, hat es sich bisher nicht durchgesetzt, daß architektonisch und künstlerisch Verantwortliche ab einem frühen Stadium der Baudurchführung auf räumliche, funktionelle und ästhetische Lösungen hin zusammenarbeiten. KünstlerInnen finden sich daher in den meisten Fällen weiterhin in eine reaktive Rolle gedrängt. Die Aufgabe, in Reaktion auf eine im Prinzip bereits fertige architektonisch-funktionelle Gegebenheit künstlerische Beiträge zu entwickeln, läßt zwar immer noch ein gewisses Spektrum an Handlungsmöglichkeiten zu, sie schließt allerdings vieles von dem, was Gegenstand künstlerischer Überlegungen sein könnte, von vornherein aus. So kommen zum Beispiel Projekte, die sich sozialen und kommunikativen Fragen zuwenden, also Themen, die etwa in einem Altersheim von höchster Bedeutung wären, meist schon deshalb nicht in Frage, weil die für solche Prozesse erforderlichen (innen-) architektonischen Maßnahmen im Rahmen abgeschlossener Strukturen einfach keinen Platz mehr haben. Selbst herkömmlichere Fragen der Gestaltung (von Inneneinrichtung, Beleuchtung etc.), die durchaus einer weniger routinierten Behandlung unterworfen werden könnten, bleiben im Regelfall Sache der Architekten oder Bauherren. Alles, was das Leben einer temporären Gemeinschaft (Schule, Krankenhaus, Altersheim) mehr als bloß am Rande berührt, wird als außerhalb des künstlerischen Kompetenzbereichs begriffen.
Mit dieser kategorialen Trennung von Funktion und Dekoration, von praktischen und ästhetischen Problemen, folgt die allgemeine Praxis von „Kunst und Bau“ einem Kunstbegriff, der hinter die Neudefinition der Künstlerrolle im frühen 20. Jahrhundert zurückfällt. Bewegungen wie der russische Konstruktivis-mus, das Bauhaus oder De Stijl kritisierten die Folgenlosigkeit des bürgerlichen Kunstbegriffs, gegen die sie die Integration von Kunst in alltagspraktische Realitäten setzten, um gerade diese Lebensrealitäten zu durchdenken, zu gestalten und zu verbessern. Die Kritik dieser Bewegungen richtete sich aber nicht nur gegen die Folgenlosigkeit und elitäre Abgehobenheit des Kunstwerks, sondern gleichermaßen gegen den darin verkörperten künstlerischen Individualismus, den „falschen Schein“ subjektiver Freiheit im Dienste der Verschleierung gesellschaftlicher Zwänge und Unfreiheiten. Die allgemeine Praxis von „Kunst und Bau“, die alles Notwendige vom Künstlerischen, dem eigentlich Unnotwendigen, trennt, forciert nun genau jene künstlerischen Tugenden, gegen die sich die historischen Avantgarden gerichtet hatten. Sie stellt ein Minimum an Bewegungsspielraum zur Verfügung, der mit einem Maximum an Kreativität auszufüllen wäre. Dies führt häufig dazu, daß ein an sich bereits in hohem Maße architektonisch und funktional determinierter Raum durch künstlerische Interventionen, die ihm etwas Nicht-Funktionales entgegensetzen wollen, weiter belastet wird. Solche Situationen, in denen sich ein Künstlerindividuum als exemplarisches Subjekt manifestiert, während die Manifestationsmöglichkeiten der Subjekte, die den jeweiligen Raum benutzen, beschränkt bleiben, geben jenen Kritikern recht, die „Kunst und Bau“ schlicht als „ästhetischen Terror“ betrachten. Auf der anderen Seite ergeben sich genau aus diesem Widerspruch von möglichst gering gehaltener künstlerischer Einflußnahme und gleichzeitiger Forderung nach größtmöglicher künstlerischer Prägnanz auch die bekannten Auseinandersetzungen zwischen KünstlerInnen und ArchitektInnen um ihre jeweilige ästhetische Integrität.
Josef Dabernigs Projekte für die HBLA Villach und das Landespensionistenheim Vösendorf zeugen von einem ausgeprägten Bewußtsein für die skizzierten Bedingungen künstlerischer Interventionen in an sich durchgestaltete architektonisch-funktionale Gegebenheiten. Sie gehen zunächst einmal von der Einsicht aus, daß die bestehende Architektur, unabhängig davon, ob sie den Vorstellungen des Künstlers entspricht oder nicht, eine wie auch immer begründete Konzeption umsetzt, der nicht durch eine (andere) künstlerische Konzeption entgegenzutreten ist. Für Dabernig kommt es nicht in Frage, gegen eine architektonische Lösung (mit eventuell wiederum architektonischen Mitteln) zu arbeiten, schon deshalb nicht, weil er Architektur vorrangig unter funktionalen Gesichtspunkten begreift, aber auch aus einer Haltung heraus, der die demonstrative Geste grundsätzlich fragwürdig erscheint. Die Architektenarbeit grundsätzlich zu respektieren heißt allerdings nicht, sich als Künstler mit der Aufgabe der Ausschmückung des Vorgegebenen zu bescheiden. Es geht vielmehr um eine Antwort auf die für jeden Künstler in einer solchen Situation zentralen Fragen: wie kann ich den architektonischen Gegebenheiten entsprechen, ohne mich ihnen völlig zu unterwerfen? Und wieviel kann ich an gestalterischen Überlegungen sozusagen „von außen“ einbringen, ohne funktionalen Anforderungen des Raumes zuwider zu handeln oder einem bestehenden ästhetischen Grundkonzept Akzente zu verleihen, die als willkürlich und austauschbar empfunden werden? Allgemeiner formuliert: wie erhalte ich mir jenen künstlerischen Bewegungsradius, den die Prinzipien meiner künstlerischen Position erfordern, und legitimiere zugleich meine konkrete Lösung aus der Logik kontextueller Vorgaben heraus? Die beiden Projekte, die Josef Dabernig in Villach und Vösendorf realisiert hat, erweisen sich allein schon dadurch solchen Grundsatzfragen verpflichtet, daß sie sich unmöglich am jeweils anderen Ort denken lassen. Die beiden Arbeiten reagieren nicht nur auf unterschiedliche räumliche und architektonische Bedingungen, sie reflektieren auch verschiedene Kontext-Ebenen.
Die Lösung für den Pausenraum der HBLA Villach hat einen kleinen und für seine Grundfläche ziemlich hohen, relativ schlicht ausgeführten Raum zum architektonischen Ausgangspunkt. Der institutionelle Hintergrund ist die Schule, die „Lehranstalt“, wie die offizielle Bezeichnung lautet, in der das regulierende, disziplinierende Moment, das Bestandteil ihrer gesellschaftlichen Aufgabe ist, besser zum Ausdruck kommt. Der Pausenraum verkörpert in diesem Rahmen einen Freiraum, einen Ort der Erholung, der Kommunikation und des zumindest potentiell weniger disziplinierten Verhaltens. Dabernigs Arbeit bezieht sich sowohl auf die architektonische als auch auf die institutionelle Komponente. Die nord- und südseitig in Nischen eingelassene Glas-Alu-Konstruktion greift in ihrer Grundform die vertikale Ausrichtung des Raumes auf und verschenkt durch ihre Bündigkeit mit der Wand keinen Millimeter des hier kostbaren Raums. Zugleich bringen die reflektierenden Gläser ein Moment der optischen Raumerweiterung ins Spiel. Sie tun dies jedoch nicht in der simplen Art der gängigen Kaffeehausspiegel, da sie den Raum nicht einfach illusionistisch erweitern, sondern die Idee der Erweiterung als solche zur Sprache bringen. Da „Solarlux Braun“ und „Solarlux Silber“ unterschiedlich stark reflektieren, was die Gläser einmal materieller, einmal immaterieller erscheinen läßt, generiert diese Abwandlung optischer Reflexion zugleich eine geistige Reflexion, ein Nachdenken über den Ort und den Status der Kunst an diesem Ort. Verstärkt wird diese implizite Selbstreflexion durch das Aufgreifen architektonischer Gestaltungselemente der unmittelbaren Umgebung, der Glas-Rahmen-Konstruktionen vor allem des in den Raum hineinstoßenden Durchgangs zum Hauptgebäude. Dabernig verschränkt hier das in früheren Arbeiten angewandte Prinzip der Reihung rhythmisch progressiver Flächen mit den Materialkombinationen der architektonischen Umgebung. So formuliert sich also in der Arbeit selbst das Grundproblem einer solchen Arbeit, die Beziehung von Kunst und Architektur, das Verhältnis von Text und Kontext.
Das Reflektieren über die Idee der Erweiterung spielt natürlich auch auf Erwartungen an, mit denen sich künstlerische Projekte dieser Art konfrontiert sehen, nämlich eine andere Dimension zu eröffnen, eine Erweiterung („Bereicherung“) des profanen Raum- und Funktionsgefüges anzubieten. Dabernigs offensichtliche Zurückhaltung solchen Vorstellungen gegenüber ist hier auch von der Einsicht in die Funktionsbestimmung des Pausenraums getragen. Wenn es sich bei diesem Raum um eine quasi indoktrinationsfreie Zone handelt, um ein Kurzzeitrefugium ansonsten ständig „informierter“ Gehirne und disziplinierter Körper, dann benötigt dieser Raum nichts weniger als weitere Auf- und Zudringlichkeiten. Josef Dabernig gelingt hier eine sehr elegante Lösung, die dem Raum die seinem Zweck entsprechende Ruhe und Neutralität bewahrt und dennoch eine subtile Analyse der Aufgabenstellung und der Funktion von Kunst im gegebenen Kontext vornimmt.
Im Fall des Pensionistenheims Vösendorf lagen sowohl architektonisch als auch in bezug auf die künstlerischen Möglichkeiten andere Voraussetzungen vor. Handelte es sich bei der Villacher Pausenhalle um einen relativ schlichten und ruhigen architektonischen Rahmen, so ist die Vösendorfer Eingangshalle beinahe das Gegenteil davon. Der multifunktionale Raum hat allein schon durch seine Verteilerfunktion unruhigen, dynamischen Charakter. Nachdem man ihn durch einen runden Windfang betreten hat, öffnen sich von hier aus mehrere Wege, unter anderem auch auf der gegenüberliegenden Seite ins Freie. Zusätzlich wird der Raum von einer quer verlaufenden Brücke durchschnitten. Innenarchitektonisch dominiert der eigentümliche Kontrast einer frei im Raum stehenden ovalen Kapelle und eines Café/Bar-Betriebs gleich dahinter. Hinzu kommt die Mischung von Materialien und Farben: der graue Fließenboden, die hölzerne Kapelle, die blaue Bar, eine gelbe Rauhputzwand, verschiedene Möbel; all dies gerahmt von der silber-grauen Metallästhetik von Konstruktion und Tonnengewölbe.
In einem architektonisch überdeterminierten, unruhigen Raum wie diesem scheint weder eine „starke“ künstlerische Geste, die nur weitere Verwirrung stiften würde, angebracht, noch eine „schwache“, zurückhaltende, die hier völlig untergehen würde. Ein solcher Raum, der bereits exzessiv gestaltet wurde, konfrontiert im Grunde eine „künstlerische Gestaltung“ mit dem Faktum ihrer Überflüssigkeit. Josef Dabernig zieht daraus die logisch erscheinende Konsequenz, indem seine Arbeit die Situation gewissermaßen zurückspiegelt. Man kann hier von einer methodischen Doppelstrategie sprechen, die darin besteht, die einschränkenden Voraussetzungen bedingungslos anzuerkennen und sie (auch dadurch) subversiv zu unterwandern. Im Unterschied zur Villacher Situation, die den geladenen KünstlerInnen im Prinzip die Möglichkeit des Entwurfs eines Raumkonzepts ließ, bleibt in der Vösendorfer Halle letztlich nur die eine gelbe Wand zur künstlerischen Bearbeitung. Das Freilassen einer einzigen Wand bedeutet aber nichts anderes als die implizite Forderung nach einem Bild. Dabernigs Arbeit nimmt diese Forderung auf und dekoriert die Wand mit einem schönen großen Bild (ein Leuchtkasten), dessen Proportionen sich harmonisch denen der Wand einfügen. Diese scheinbar völlig affirmative Geste wird konterkariert durch das Motiv des Bildes – der vergrößerte Architektenplan des Gebäudes.
Die Kunst punktet hier also, um es in der Sprache des Tennis zu sagen, durch den Return des harten Aufschlags der Architektur. Dabernigs Arbeit erfüllt somit einen zentralen Anspruch reflektierter Kunst (am Bau), nämlich die Bedingungen ihrer Möglichkeit zu artikulieren. Sie bleibt aber nicht dabei stehen. Neben der spezifischen Kontextualität ihrer eigenen Rahmenbedingungen verweist die Arbeit auf mindestens zwei weitere Zusammenhänge. Zum einen betreibt sie eine signifikante Umkehrung herkömmlicher Arbeitsteilung zwischen Kunst und Architektur, denn in diesem Fall ist es das Bild, das den „technisch-praktischen“ Part übernimmt, während der Architektur das „künstlerische“ Spiel mit Farben und Formen überlassen bleibt. Zum anderen simuliert die Anbringung des Plans in der Eingangssituation eine Orientierungshilfe, die in der etwas unübersichtlichen Verteilerhalle durchaus auch reale Verwendung finden kann.
Geht man davon aus, daß weder die Aufgaben und Bedingungen künstlerischer Projekte in öffentlichen Bauten bis heute wirklich geklärt sind noch ein Konsens über die eigentlichen Adressaten und Nutznießer solcher Programme besteht, so können Arbeiten wie die hier publizierten vor allem deshalb einen hohen Stellenwert beanspruchen, weil sie sich an der Diskussion dieser Fragen analytisch, kritisch, aber auch mit subtiler Ironie beteiligen.

architektur Fachmagazin 2/99. Laser Verlag GmbH, Perchtoldsdorf. S. 30 ff, auszugsweise in der Publikation K8, Kunstverein Kärnten, 1999 und in Josef Dabernig – Künstlerische Gestaltung im Pensionisten- und Pflegeheimes des Landes Niederösterreich in Vösendorf - Künstlerisches Projekt im Rahmen des Bauvorhabens HBLA Villach, Generalsanierung des ehemaligen KELAG-Gebäudes. Projektdokumentation 1998

Christian Kravagna
1999