Josef Dabernig. Distanz und Polarität

Josef Dabernig verwendet für seine Raster-Serie Aluprofile aus einem industriell gefertigten Montagesystem. Gestalterische Eingriffe im konventionell bildhauerischen Sinn, wie das Biegen, das An- oder Abtragen von Volumen oder die Bearbeitung der Oberfläche unterbleiben. Er beschränkt sich auf die Festlegung der Länge und der Schnittpunkte der horizontalen und vertikalen Profile, sowie der Distanzen zwischen den einzelnen Rahmen im Raum.

Der Künstler arbeitet mit einem Baukasten aus drei Elementen: Einem Profil mit L-förmigen, einem mit U-förmigen Querschnitt und mit einem Montagewinkel. Dieser bleibt in Größe und Form konstant, während die Länge der Profile variabel ist. Er befindet sich stets an den Knotenpunkten im Raster, tritt in formale Polarität gegenüber dem flächenbezogenen oder linearen System und verleiht ihm räumliche Tiefe, vor allem bei der Stapelung der Rahmen.

Dort tritt der Winkel als distanz- und gleichermaßen raumschaffendes Element auf. In der Reihung auf gleicher Rahmenhöhe entwickelt er ornamentale Züge.

Die Winkel sind aus ihrer Funktion gelöst und haben kaum Last zu tragen, wie z.B. als Trägerelement unter den Fassadenverkleidungen, in denen sie normalerweise Verwendung finden. Entfunktionalisiert nehmen sie plastische Qualitäten an. Der Künstler legt Wert darauf, daß der selbstverständliche Umgang des Industrieprodukts mit funktional motivierten Formentscheidungen in der funktionsfreien Verwendung der Kunst erhalten bleibt.

Die Rahmen und die Kantenplastiken Dabernigs sind je nach Raumsituation neu zu installieren, werden den räumlichen Verhältnissen angepaßt - insbesondere im Hinblick auf die Progressionen der Abstände. Bisweilen werden sie zerlegt und in anderer Form zusammengestellt, z.B. die Einzelteile der großen Zinkblechkästen.

Methoden industrieller und gewerblicher Produktion, Baukastenprinzip und Recycling, fließen in die artifizielle Produktionsweise ein.

Die Aluminium-Profile sind der kunstfremden Sphäre der Baumärkte entnommen, sie repräsentieren eine industrielle Ästhetik aus dem Sektor der Halbfertigprodukte, die nicht mit derselben affekthaften Zuwendung rechnen können wie die Konsumgüter. Eine positiv besetzte Waren-Ästhetik entsteht hier nicht; sie bleibt indifferent.

Im ursprünglichen Verwendungsbereich der Bauwirtschaft ist das Alu-Montagesystem üblicherweise hinter Edelholzpaneelen oder Marmorplatten verborgen. Es dient als Präsentationsbehelf für das vermeintlich Bessere, Herzeigbare, fungiert als tragende Konstruktion, die selbst verdeckt wird.

Diese geringe Attraktivität des Materials ermöglicht Josef Dabernig eine puristische Artikulation der Strukturen. Dabei läßt er das weg, was sonst mit ihrer Hilfe vermittelt wird: die Verkleidung.

Dabernig legt den Alu-Rahmen eine mathematische Ordnung zugrunde. Ihr Ausgangspunkt kann innerhalb des Montagesystems liegen, z.B. bei der Profilbreite und/oder in den Dimensionen des Ausstellungsraumes. Was dort wie zufällig hingelehnt wirkt, ist zentimetergenau abgezirkelt. (Früher waren die Tafeln mit den Berechnungen auch Teil der Ausstellung). Doch der komplexe visuelle Zusammenhang gestattet es nicht, sofort die mathematische Gesetzmäßigkeit zurückzuverfolgen, nach der Formate und Distanzen modifiziert werden, wenngleich sie als implizite Ordnung in den progressiven oder seriellen Abläufen mitrezipiert wird.

Dabernig baut häufig Faktoren der Verunsicherung ein, z.B. wenn ein auf dem ersten Blick gleichförmig anmutender Raster durch die geringfügige Verminderung der Breite den Erwartungshorizont verkehrt und sich die vorausgesetzte Ordnung als die falsche erweist. In anderen Fällen bleibt innerhalb eines progressiven Ablaufes eine der Größen gleich, während die zweite variiert wird, so daß ein Konflikt zwischen dem Dynamisierungseffekt der Progression und der Konstanz der Serie entsteht.

Der Raumbezug existiert hier in zweierlei Weise: Die mathematische Fixierung von Dimension und Position der Plastiken und die Labilität ihrer Aufstellung stehen dabei in deutlichem Kontrast. Irritation bewirkt Dabernig durch die bevorzugte Art der Präsentation seiner Arbeiten - wenn sie nicht wie auf einer Baustelle sichtbar an die Wand gedübelt sind, dann werden sie angelehnt. Dieser instabile plastische Zustand, den Brancusi mit seiner "Leda" und der "Schlummernden Muse" in die Kunstgeschichte eingeführt hat, stellt hier die Frage nach der Finalität des Werkes und nach der Zufälligkeit seiner Positionierung. Zugleich wird sein ephemer Charakter betont.

Die Abgeschlossenheit der jeweiligen Plastik ist durch die Dauer der Präsentation an einem bestimmten Ort reguliert. Auf einen neuen Ort reagiert der Künstler durch eine andere Montage der Elemente aus dem Baukastensystem. Der Raum-Bezug wird dort mathematisch neu formuliert, möglicherweise auch nach anderen Bildungsgesetzen.

Der Schein des Aleatorischen wird durch die Infragestellung des Kontexts ausgelöst, die ihrerseits im Motiv des Lehnens begründet ist. Das Lehnen signalisiert ein Stadium des Unfertigen und Vorübergehenden, welches selbst im musealen Betrieb, z.B. während des Ausstellungswechsels, Glaubwürdigkeit beanspruchen kann. Duane Hanson hat in den Siebzigerjahren diesen thematischen Ansatz ausgewertet, als er lebensgroße naturalistische Figuren von Museumswärtern, Putzfrauen und Zimmermalern in die Galerieräume gestellt, die erst nach längerem Hinsehen wegen ihrer Regungslosigkeit als Plastiken erkennbar wurden. Damit hat er die Grenze zwischen der Sphäre der Kunst und der Alltäglichkeit verschleift.

Ein ähnliches Faktum tritt uns bei Josef Dabernig entgegen, wenngleich es nicht seine primäre Thematik ist - der kontextuelle Zuordnungszweifel.

Da enthält die Rezeptionssituation ein Verkehrungssyndrom, das sich bei Dabernig in der Überraschung durch das Gewöhnliche und in seiner Fremdheit auswirkt. Wann immer die abendländische Kunst dem Gewöhnlichen möglichst nahestehen wollte, ist sie vorerst auf Ablehnung gestoßen: Bei der Darstellung der Alltagsdinge in der Niederländischen Malerei des 15.Jahrhunderts, bei der Entwicklung der Landschaftsmalerei, beim Realismus Courbets, beim ready made, der Collage und der Objektkunst, in der Pop-art und bei der Faktizität der Farbe im Colourfield-painting, etc., etc., wurde die Kunstwürdigkeit des Gewöhnlichen nur zögernd akzeptiert.

Diese Problematik der Erhöhung des Gewöhnlichen durch eine Übertragung in die Sphäre der Kunst tangiert Dabernigs Arbeit kaum; sie ist bereits in den Phasen der diversen Paradigmenwechsel der Moderne eines der Zentren der Auseinandersetzung gewesen.

Was Dabernig in der Sphäre des Gewöhnlichen sucht, ist neben der programmatischen Kombinatorik der Elemente das Moment des Unspektakulären, das nicht durch den Kontextwechsel in die Kunst in sein Gegenteil umkippt und sich hyperartifiziell gebärdet.

Er strapaziert die Gegensätze, spannt sie sehr weit auseinander und provoziert gleichermaßen das Pendeln zwischen ihnen: Zwischen einer stringenten mathematische Basis und einer beiläufig wirkenden Realisierung; zwischen einer unanschaulichen Masse der Berechnungen und einer anschaulichen Kargheit des dinghaft vermittelten Ergebnisses; zwischen der Gewöhnlichkeit des Materials und der Unsicherheit, welche die Begegnung mit ihm auslöst.

Josef Dabernig 4x6+3x3+2x2+1=38. Kärntner Landesgalerie, Klagenfurt, 1993. Mit Textbeiträgen von Arnulf Rohsmann und Laura Safred

Arnulf Rohsmann
1993