Josef Dabernig - Die Kunst des Moments

Zum Beginn von WISLA (1996) schwenkt die Kamera über die Betonkulisse eines leeren Fußballstadions, dazu ertönen die Gesänge und das Gepfeife zahlloser Tifosi, der italienischen Fußball-Schlachtenbummler. Zwei Männer – der Trainer und sein Assistent, oder ist es der Masseur? – betreten die Arena und begeben sich zur Trainerbank, um von dort das Spiel zu verfolgen. Dieses Spiel bekommen wir in WISLA allerdings nie zu sehen. Selbst das auf wenige Gesten reduzierte Verhalten und die versteinerten Mienen der beiden Akteure (Dabernig selbst als der Team-Chef, gemeinsam mit Martin Kaltner) geben nur andeutungsweise Aufschluss über die Ereignisse am Rasen. Am Ende werden vor leeren Rängen die Hände von Funktionären und Verbandspräsidenten geschüttelt und Auszeichnungen entgegengenommen. Während diese wenigen gesetzten Aktionen das mediasierte Leiden und den Triumph in einem Populärsport in verhaltener Sparsamkeit vorführen, gilt das Interesse der Kamera in ebensolchen Maßen der architektonischen Formgebung dieser schon etwas heruntergekommenen Freizeiteinrichtung, den betonierten Tribünen oder der schlichten Spielerbank, von der aus die Protagonisten das ‚Spiel‘ verfolgen.

Claus Philipp beschrieb WISLA einmal als eine „in vieler Hinsicht gelungene Übung in der Kunst der richtig gesetzten Auslassungszeichen.“ Ein Prädikat, das sich durchaus für das gesamte bisherige Filmschaffen des aus Kärnten stammenden Künstlers vergeben lässt. Ein Filmschaffen, das gekennzeichnet ist durch das Spiel mit Andeutungen von erzählerischen Momenten, welche vom großen Gesten- und Schauspielkino herzurühren scheinen, vom Filmemacher aber stets so inszeniert werden, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes ins Leere laufen.

So etwa in JOGGING (1999), der übrigens ebenfalls Dabernigs Affinität zum (italienischen) Fußball andeutet. Wir begleiten einen Mann mit dem Auto in die suburbane Zone einer süditalienischen Stadt, sehen vom Fahrer selbst aber lediglich eine rote Jogginghose und die Hände, die das Lenkrad bewegen oder die Gangschaltung betätigen. Die Fahrt durch öde Autobahnlandschaften, welche ausschließlich von streunenden Hunden bewohnt zu sein scheinen, endet vor einem futuristischen Betonkomplex, der mehr einem Flugobjekt als einem Fußballstadion gleicht. Die Musik Olga Neuwirths, die bereits die Fahrt in eine eindringliche, nahezu extraterrestrische Klangsphäre hebt, kulminiert in dem Moment, in dem der anonyme Protagonist beim Anblick des architektonischen Kolosses schwindelt und sich sein Blick im Blau des Himmels verliert. Fragmente einer Geschichte im Niemandsland.

Die Kurzfilme Josef Dabernigs lassen sich nur schwer oder gar nicht genremäßig zuordnen. Im Grunde sind es Alltagsbeobachtungen, die durch das Schauspiel und die Inszenierung überspitzt und bisweilen ins Groteske überzeichnet werden. Dass dabei sehr oft räumliche oder architektonische Aspekte mit einem besonderen Interesse bedacht werden, liegt an Dabernigs künstlerischen Hintergrund in der Architektur, der Bildhauerei und der Installationskunst.

Das Sich-Bewegen durch scheinbar bedeutungslose leere Gegenden oder urbane Randzonen, die sich durch dieses Durchmessen überhaupt erst für einen aufmerksamen Blick öffnen, ist schon das zentrale Motiv in GEHFILMEN 6, den Josef Dabernig gemeinsam mit Thomas Baumann und Martin Kaltner 1994 realisierte. Zwei Männer, bepackt mit einem Aktenkoffer und einem Plastiksackerl, irren, obwohl augenscheinlich mit einem Plan ausgestattet, querfeldein bzw. zwischen mächtigen realsozialistischen Plattenbauten an der Peripherie einer Großstadt herum. Das Ziel, das die beiden verfolgen, bleibt bis zum Ende des Films ein Rätsel, vielmehr geht es, wie der Titel vorgibt, um den Akt des Gehens, des Beschreitens eines alltäglichen Raumes.

Gegangen wird auch in TIMAU (1998), realisiert in Zusammenarbeit mit Markus Scherer. Drei Männer entladen schweres Dienstgepäck aus einem PKW auf einem Parkplatz nach einer Fahrt über eine Bergstraße, erklimmen dann einen mühsamen steilen Pfad durch Geäst, über Geröll und durch Höhlen, um am Ende ihrer Profession als Telekommunikationstechniker nachzugehen. Auch hier bleibt das Ziel lange Zeit rätselhaft, letztlich hat es in der Konzeption des Films aber eigentlich nur eine untergeordnete Bedeutung. Die Aufmerksamkeit richtet sich fast ausschließlich auf das Einfangen von singulären Momenten, etwa jener zutiefst privaten Einsamkeit der Protagonisten während der Autofahrt oder dem Keuchen und Stöhnen im Zuge der geradezu grotesk anmutenden Strapazen während des Aufstiegs. Diese Reduktion auf das scheinbar Banale und die stets lapidar anmutende Inszenierung, die konsequent auf Dialoge verzichtet, birgt auch jenes komödiantische Potential, das den Filmen Josef Dabernigs so eigen ist. Wobei es sich keineswegs um gespielte Witze handelt, die da zum Besten gegeben würden. Das lakonische Schauspiel der Akteure (Dabernig selbst tritt in allen seinen Filmen auch als Darsteller vor die Kamera) und das Setting der Filme verweisen vielmehr auf ein tiefes existentialistisches Phlegma, das sich in räumlicher Orientierungslosigkeit oder im zeitlichen Stillstand äußert.

So etwa auch in WARS (2001), der zu Beginn von Gesten des Wartens gekennzeichnet ist. Alltag in einem Speisewagen eines Fernzuges, in dem die Gäste ausbleiben. Das Personal übt sich in gelassenem Ausharren. Trotz der vorbeirasenden Landschaft vor den Fenstern des Speisewaggons wird die Zeit im Inneren durch die Untätigkeit der Akteure in all ihrer Trägheit spürbar. Geschäftigkeit kommt erst auf, als sich der Zug seinem Bestimmungsbahnhof nähert und das Wageninnere noch gereinigt werden muss. Doch auch diese Aktivitäten unterbrechen nicht wirklich die herrschende Langeweile. Diese „vergnügliche Studie über Bewegung und Stillstand“ (Andrea Pollach) ist zugleich ein gelungenes Ablenkungsmanöver im Hinblick auf klassische Erzählhaltungen und herkömmliche narrative Strukturen. Das Nicht-Agieren der Protagonisten lenkt den Blick auf Details, etwa die Anordnung der Tische, die leeren Resopal-Regale der Bordküche oder die vor den Scheiben vorbeiwischende Landschaft. Später, als Bewegung in die Szenerie kommt, verharrt die Aufmerksamkeit bei den banalsten aller vorstellbaren Handlungen: dem Aufkehren des Bodens und dem Abwischen der Tische.

Auf Irritation ist in gewisser Weise auch AUTOMATIC (2002) angelegt, der bislang letzte Film aus der Dabernig’schen Filmwerkstatt, realisiert in Zusammenarbeit mit dem Grazer Künstlerduo G.R.A.M. ‚Drei Männer, drei Autos, drei Obsessionen‘: Das ruft Erinnerungen an bekannte Motive vieler Road Movies wach. Doch in den 7 Minuten des Films kommt es nicht zur Fahrt: Während die (übrigens wunderbar swingende) Musik von Binder&Krieglstein Geschäftigkeit und Dynamik vortäuscht, bewerkstelligt das Setting, das sich dem Zuschauer im Schlussbild des Films eröffnet, den ironischen Bruch mit jenen Erwartungshaltungen, welche bis dahin über Kameraeinstellungen und Schnitt eng an Genretraditionen geknüpft waren.

Das Kino Josef Dabernigs: bescheidene, zutiefst komische Geschichten mit einem unaufdringlichen philosophisch-existentialistischen Subtext.

Sonnenaufgang - Österreichisches Kino der Gegenwart. filmarchiv - Programmzeitschrift Nr. 01 des Filmarchiv Austria (Hg.), 2002. S. 10-11

Gerald Weber
2002