Josef Dabernig: Der Maßstab, die Angemessenheit und ihre Mathematik
Das Phantasma eine Welt zu bauen auf den Grundlagen der Rationalität hat - so scheint es - eine Geschichte der Unberechenbarkeiten hervorgebracht, ohne über eine Maßstäblichkeit zu verfügen, um mit diesen umzugehen. Ihre Inanspruchnahme im Kontext ökonomischer und politischer Interessen hat die Rationalisierung als pragmatische Manifestation von Rationalität hervorgebracht. Rationalisierung selbst hat in der Geschichte der Produktion, der Industrie und Ökonomie ihre ästhetischen Spuren hinterlassen und die Reduktion der formalen Beschaffenheit eines Objektes auf das für seine Funktionalität notwendige Format als Parameter installiert. Unter dem Signum der Funktionalität haben sich Normen und Standards als Instrumentarien der Rationalisierung herausgebildet, die eine möglichst effiziente Produktion von Ordnung, Effizienz und Berechenbarkeit gewährleisten sollen. So stehen wir vor einer Situation, in der wir die Wege von der Rationalität hin zu Rationalisierung als ihrer instrumentalisierten Form gut nachvollziehen können, ohne aber einer Umkehrung dieser Richtung, die Installierung von Rationalität als kritischer Instanz, Raum zu gewähren.
Die Arbeit von Josef Dabernig nimmt in diesem Dilemma zwischen Rationalität und Rationalisierung ihren Ausgangspunkt und stützt sich materialiter wie formaliter auf Produkte standardisierter Funktionalität sowie strukturell auf Figuren der Rationalität im Lichte mathematischer Berechnungen. So werden etwa industriell vorgefertigte Aluelemente zu Rahmen- und Trägerkonstruktionen verbunden, die pure Funktionalität für verschiedene Verwendungszusammenhänge assoziieren lassen und nach bestimmten Berechnungsfiguren in ihren Größen graduell variieren können. Die Serialität und das Modul sind damit weitere Komponenten im Rahmen der Dabernigschen Ordnung. Eine wesentliche Kategorie der Ökonomie betrifft auch die räumliche Dimension, die seine Konstruktionen in Anspruch nehmen: In früheren Arbeiten war sogar die Lagerbarkeit und Stapelbarkeit - als Ausdruck einer Ästhetik der Raumökonomie - Teil seines Konzepts. Heute produziert Dabernig nur mehr für konkrete “Aufgaben”, d.h. spezifische räumlich-architektonische Situationen, in die er seine Konstruktionen installiert. Vergleichbar dem wirtschaftlichen Prinzip der Minimierung von Lagerkosten via einer Produktion nach Aufträgen verändert Dabernig damit seine künstlerischen Produktionsbedingungen auch im Reflex auf die Rationalisierungsschübe unserer ökonomischen Kultur.
Die Struktur seiner Arbeiten ließe sich damit als Kombination eines auf Funktionalität hin angelegten Materials mit einem nach mathematischen Kurven definierten Formbegriff beschreiben. Diese immanente Rationalität der Form bezieht sich zwar meist auf die vorgegebene räumliche Situation, für die die Arbeit angemessen wird; allein die Rhythmik bzw. Arithmetik der neuen Konstruktion emanzipiert sich von der architektonischen Vorgabe und kommentiert damit deren eigene Ordnung. Die Inkongruenz der Dabernigschen und architektonischen oder räumlichen Ordnungen erzeugt eine Spannung, die die industriell vorausgedachte Funktionalität der Aluträger gleichfalls absorbiert. Mit der Form ihrer Präsenz - an die Wand gelehnt oder dieser vorgeblendet, am Boden aufgelegt usw. - weisen seine Konstruktionen jede Funktionalität von sich - außer jener, sich selbst als Produkt von Rationalität zu erkennen zu geben. Damit wird die im Material evidente Pragmatik der Rationalisierung wieder und vielleicht entgegen der ursprünglichen Produktionsabsicht als ästhetisches Konzept faßbar.
Es wäre aber zu kurz gegriffen, in dieser Methode der Funktionsentkleidung eines Materials allein seine Ästhetisierung zu suchen, um diese dann als Kritik am Funktionalismus in den Raum zu stellen. Vielmehr scheint Dabernig daran gelegen zu sein, die spezifische Ästhetik industrieller Produktion als Resultat von Rationalisierungsmaßnahmen von der Funktionalität des Materials abzulösen, um diese wieder dem Bereich der Rationalität als reflexives Potential zuzuführen. In diesem Sinne entbehren seine mathematischen Berechnungen jeglicher Legitimation auf der Ebene angewandter ökonomischer oder industrieller Zielsetzungen und unterliegen allein subjektiven Entscheidungen. Rationalität wird in diesem Zusammenhang zum tautologischen Instrumentarium; sie schreibt sich in die Arbeit ein und definiert deren Struktur, ohne sie darüberhinaus zu bestimmen oder gar begründen zu wollen.
Allgemein gesprochen produziert Dabernig damit auf den produktionstechnischen wie produktionsästhetischen Grundlagen der Industrie, um diese aus ihrem sozioökonomischen Kontext zu lösen und einem Diskurs einzugliedern, der nach den reflexiven Instrumentarien unserer Gegenwart zu fragen ansetzt. Was Dabernig damit leistet, ist die Verschiebung von der Industriegesellschaft hin zur Informationsgesellschaft zu markieren, ohne den romantischen Wunsch nach einer subjektiven Maßstäblichkeit aufzugeben. Der Verzicht auf die letztgültige Begründung seiner Rationalität spekuliert aber nicht mit dem Fluchtpunkt eines Irrationalen romantischer Provenienz, sondern bezeichnet das Dilemma einer Diskursivität, die der Inkongruenz bedarf, um am Leben zu bleiben.
Josef Dabernig. Salle de Bal - Institut Francais de Vienne. Wien, 1995