Is a New Kunsthaus ein neues Kunsthaus?

Unterhielten wir uns beispielsweise über eine Ausstellung des New Museum in New York, so stünde der Name des Hauses schlicht für eine Institution, deren Programmierung wir für mehr oder weniger interessant befinden könnten und der wir diesen oder jenen Stellenwert innerhalb der kunstinstitutionellen Landschaft New Yorks zuschreiben würden. Ähnliches wäre der Fall, kämen wir auf die Neue Galerie in Graz oder die Neue Pinakothek in München zu sprechen. Wie unterschiedlich auch immer sich das Neu in diesen Namen einmal begründet haben mag, sie stehen uns allein für einen Ort, ein Gebäude und ein kuratorisches Profil.
Der Signifikant a New Kunsthaus in dem Vorschlag von Josef Dabernig scheint sich jedoch auf ein Signifikat anderer Ordnung zu beziehen. Die stilistische Heterogenität der einzelnen Elemente, die als Bausteine eines New Kunsthaus angeboten werden, sowie die Kombination des Englischen und Deutschen in seinem Namen weisen darauf hin, dass a New Kunsthaus nicht ein konkretes Gebäude, sondern eine diskursive Konstruktion bezeichnet. Es hat den Anschein, als würde sich ein deutschsprachiger Sprecher an eine nicht deutschsprachige Rezipientengruppe - eine „internationale Öffentlichkeit“ - wenden und über etwas sprechen, das mehr im Raum der Imagination als im physischen Raum einer Stadt angesiedelt ist.
Eine der Thesen postmodernen Denkens hatte die Freisetzung der Zeichen von den Referenten behauptet, und sie erscheint da nicht ganz unplausibel, wo sich die medial verbreitete Rede über kulturelle architektonische Großprojekte tendenziell von der Frage der Realisierung solcher Projekte loslöst. Mag zu anderen Zeiten die eventuelle Nicht-Realisierung eines „ambitionierten“ musealen Projektes als eine Art Niederlage der betreibenden Gruppen verstanden worden sein, vielleicht sogar der „Kultur“ als solcher, so tut sie unter den Bedingungen medialer Imageproduktion dem Ansehen der Kommunen bzw. korporativ organisierten Institutionen nicht unbedingt einen Abbruch. Ein Projekt wie das von Frank Gehry geplante New Guggenheim, das sich in gewagter und überdimensionierter Weise über beträchtliche Teile Manhattans und seiner angrenzenden Wasserflächen hermacht, funktioniert möglicherweise als Projekt besser denn als Museum, verkörpert es doch stellvertretend den Anspruch bestehender Guggenheim-Einrichtungen auf die Spitzenposition im Wettbewerb um breitenwirksames Kunstmarketing und architektonische Extravaganz. Ist für den Fall der Realisierung von New Guggenheim angesichts der Investitionskosten und gewagten Dimensionen die Möglichkeit seines Scheiterns zu kalkulieren, so bringt das Projekt als Projekt, sofern es entsprechend mediatisiert ist, garantierten Gewinn in Form von Image. Das Beispiel des jahrelang diskutierten unterirdischen Museums im Salzburger Mönchsberg wäre ein weiteres dafür, dass die Möglichkeit nicht unbedingt weniger zählt als die Wirklichkeit, wenn es um die Reputation einer „ambitionierten“ Kulturstadt geht, ja dass schließlich die nicht verwirklichte Möglichkeit einer großen Lösung noch etwas von ihrer Glorie auf die Realisierung der kleinen wirft.
Josef Dabernigs „Proposal for a New Kunsthaus“ eröffnet mit einer Alternative von zwei Außenansichten. Der „frontal façade“ steht die „alternative façade“ gegenüber. Die eine vertritt mit ihren historisierenden Jugendstilreferenzen, die gleichwohl in präfabrizierte Beton- und Glaselemente gegossen sind, die Variante des nach außen gekehrten, verspielten Postmodernismus. Die andere Ansicht, ein hermetischer Block, ebenfalls aus Betonelementen, doch nichts weiter als deren Pragmatik kommunizierend, steht für eine funktionalistische Haltung, die sich um Ästhetik nicht zu kümmern scheint und bereitwillig hinter die als primär erachtete Nutzbarkeit zurücktritt. Die hier aufgespannte Alternative erinnert an die Debatten über Museumsneubauten, wie sie in den achtziger Jahren etwa in Deutschland geführt wurden, anlässlich des Gründungsbooms, vertreten unter anderem von Holleins Mönchengladbacher Museum oder Sterlings Stuttgarter Staatsgalerie. Die damals noch virulent erscheinende Opposition von Architektur als Kunst vs. Architektur im Dienste der Kunst, die auch als Auseinandersetzung zwischen postmodernen und modernen Konzeptionen, zwischen Spektakel und Funktionalismus, geführt wurde, erscheint heute in einem anderen Licht. Sicher spielt Dabernigs „frontal façade“ auf die bildhafte und skulpturale Architektur von Museumsbauten der Postmoderne an, doch die reduktive „funktionalistische“ Alternative des schlichten Kubus hat spätestes seit der neo-klassizistischen Schlichtheit, z.B. von Ungers‘ Hamburger Kunsthalle, und dem auratisierenden Neomodernismus, etwa von Zumthors Bregenzer Kunsthaus, einen anderen Stellenwert. Die in den achtziger Jahren noch gegen die Postmodernismen ins Treffen geführte Moderne, wie sie der einfache Raster des industriellen Nutzgebäudes aus Györ heraufbeschwört, ist mittlerweile selbst zur Variante des postmodernen Repertoires geworden. Insofern als beide Varianten, sowohl der geradezu perverse DDR-Postmodernismus der „frontal façade“ als auch der krude Funktionalismus des Györer Industriegebäudes als „Alternative“, doch deutlich an den realistischen Optionen des Entwerfens eines neuen Kunsthauses vorbeischrammen, bezeichnen sie in ihrer überzeichneten idealtypischen Kontrastierung eine Grundsatzentscheidung, die keine mehr ist. Dies ist wiederum nicht ganz richtig. Denn auch wenn sich die ideologischen Differenzen auf ästhetischer Ebene tendenziell nivellieren, da keine Form mehr wirklich mit einer Programmatik zu verknüpfen ist – dieselben Inhalte passen in unterschiedliche Rahmen – so ist doch die Wahl einer Form für die Bewerbung eines Projekts von Bedeutung, zielt doch die jeweilige Argumentation auf verschiedene Öffentlichkeiten – eine Wahlmöglichkeit, die Dabernigs Katalog potentieller Elemente eines New Kunsthaus anbietet.
Die in Dabernigs Proposal vorgeschlagenen „views from a New Kunsthaus“ lassen das arbiträre Verhältnis von architektonischem Konzept und institutioneller Ausrichtung vor Augen treten. Die zwei Ausblicke, beide auf dasselbe stumpfe, wenn auch algorithmisch gegliederte, Wohngebäude aus den sechziger Jahren, variieren minimal. Einmal ist es einfach ein Blick aus dem Fenster, das andere Mal deutet ein am Bildrand befindlicher Vorhang die Möglichkeit des Verhinderns eines Ausblicks an. Während man einst davon sprechen konnte, dass die moderne Museumsarchitektur die über Blickachsen angelegte Kommunikation des Kunsthauses mit der Umgebung verfolgt und die postmoderne Konzeption das selbstreferenzielle Gefüge befördert, so würde das Beispiel des Museumsquartiers in Wien heute zeigen, dass zwei von denselben Architekten entworfene Gebäude, ungeachtet ihrer jeweiligen Inhalte, sich zwei unterschiedlichen Konzepten der Öffnung bzw. der Abschottung gegenüber dem urbanen Umfeld verschreiben.

Auf den „Tod des Museums“, wie er noch bis in die siebziger Jahre verkündet wurde, hat dieses mit einer ungekannten Lebendigkeit geantwortet, die einen Image- und Strukturwandel in Harmonie mit den „postideologischen“ Kultur- und Gesellschaftskonzepten des Neoliberalismus mit sich brachte. Nicht mehr ihre Resistenz gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen, sondern ihre Anpassungsfähigkeit – an „zeitgemäße“ Marketing- und Wettbewerbsbegriffe, an den Standortwettbewerb der Städte und die Begehrlichkeiten des Corporate Sponsoring – prägt das Bild vieler heutiger Kunstinstitutionen. Die sich unter ökonomischen Vorzeichen dynamisierenden Kunstinstitutionen zeigen aber auch, dass der Wandel einst als konservativ kritisierter Bildungs- oder Erziehungsanstalten zu firmenähnlichen Kulturanbietern keineswegs ideologiefreie Zonen entstehen lässt. Probleme der Geschichtsschreibung, der Beschreibung von Gesellschaft oder der Vermittlung von Werten, die die Kritik früherer KünstlerInnen häufig als Manifestation von Klasseninteressen bloßstellte, werden durch Tendenzen der Popularisierung nicht zum Verschwinden gebracht, sondern lediglich verschoben. Die Alternative „Demokratisierung oder Tod“, mit der sich ein Großteil der Museumskritik von KünstlerInnen der sechziger und siebziger Jahre umschreiben ließe, stellt sich heute anders dar. Die Forderung nach Öffnung gegenüber der Gesellschaft im allgemeinen und bis dahin aus den Tempeln der Hochkultur ausgeschlossenen Gruppen im besonderen wurde vielfach durch publikumswirksame Spektakel beantwortet, in denen sich weniger die kulturellen oder sozialen Interessen dieser Gruppen artikulieren als die Wirtschaftsinteressen von Sponsoren oder die Imagepolitik von Städten und Regionen. Ähnlich verhält es sich mit der geforderten Öffnung gegenüber der Populärkultur. Allan Kaprow etwa sah das Museum für die avancierten Kunstformen der sechziger Jahre als obsolet an und formulierte die Überzeugung, dass „Geist und Körper unserer Kunst auf unseren Fernsehschirmen“ ihren Ort finden würden. Daher „sollten die modernen Museen in Swimming Pools und Nachtclubs umgewandelt werden“. Gedanken dieser Art sind durch die museale Übererfüllung der durch Medienrealitäten vorgegebenen Konsumgewohnheiten spätestens in den neunziger Jahren soweit Realität geworden, dass heutige KünstlerInnen teilweise wieder für Kunsthäuser als autonome Versuchsfelder und Räume für alternative Reflexions- und Entscheidungsprozesse eintreten können.

Josef Dabernigs „Proposal for a New Kunsthaus“ bezieht sich in einigen seiner Einzelvorschläge offensichtlich auf die Entwicklungen in Richtung einer künstlerischen Unterhaltungskultur und kulturellen Standortpolitik. Vor allem die „additional structure“ in Form einer sphärischen Glasarchitektur, die an die utopischen Konzepte der sechziger Jahre erinnert, denen heute das späte Glück der Realisierung beschieden ist, und das „extension building“ in Form einer mittelalterlichen Burg, bestätigen den Trend zur Erweiterung, zur Ausgliederung, zu Tochtermuseen und attraktiven Schauplätzen, seien sie unterirdisch, in pseudovenezianischen Palazzi oder in Flaktürmen angesiedelt. Dem gegenüber steht die Tristesse bereits verfallender Nebeneingänge und von Unkraut überwucherter Fluchtwege. In dem Restaurant, das ganz im Ostblockretrostil gehalten ist, dessen hipness aber, wie der mangelnde Besuch zu erkennen gibt, auch schon wieder im Schwinden ist, scheint ein etwas anachronistisch wirkender Kritiker über die Zukunft des Museums oder die inkohärente Ausstellungspolitik des Hauses mehr zu grübeln als zu reflektieren. Die „exhibition views“ des New Kunsthaus, die auf der einen Seite poppige Installationskunst kalifornischer Schule, auf der anderen den doch recht verstaubt wirkenden Konzeptualismus aus den erst spät vom eurozentrischen Kunstbetrieb entdeckten zentralasiatischen Republiken zeigen, würden den globalen Anspruch des Kunsthauses, aber auch seinen Eklektizismus bestätigen. Immerhin präsentiert sich die Popskulptur in unmittelbarer Nähe der Rolltreppe, die den nicht-elitären, lebensnahen Charakter des Kunsthauses repräsentiert. Es kommt damit zumindest in die Nähe des „verstädterten“ Museums, welches etwa Victor Beyer schon 1970 gefordert hatte: „Warum also sollte sich das Museum nicht mitten im Wege des Vorübergehenden, des Fußgängers oder des Fahrzeuges stellen? Ich für meinen Teil kann mir durchaus vorstellen, dass das Museum die U-Bahn erobert [...], die U-Bahn sollte mitten durch das Museum fahren und auch dort anhalten, und auch der Fußgängerverkehr könnte sich bei hellichtem Tage dort abspielen [...] immer quer durch die Werke von Staly, César, Calder oder Krikke [sic], quer durch das laute ‚Aufstoßen‘ des ‚action-painting‘ und die werbende Ausgelassenheit des ‚Pop‘ und der ‚Op-Art‘. In solcher Weise Tag für Tag und sozusagen aus Alltagsnotwendigkeit an diesen Umgang gewöhnt, werden so dem Publikum alle Tore zu dem vollständigen Spektrum der zeitgenössischen Kunst weit geöffnet.“ (1)
Unter Dabernigs Vorschlägen finden sich aber auch einige, mit deren Aufgreifen ein New Kunsthaus etwas vom Charme improvisierter Strukturen aus dem prädigitalen Zeitalter wieder ins Spiel bringen könnte und damit auch die Ernsthaftigkeit engagierter Diskussionen einer Ära reanimieren würde, als künstlerische und theoretische Propositionen noch den Nimbus des Subversiven hatten. Die handgearbeitete „archive structure“ und der kellerartige „discussion space“, dessen Publikum sich offensichtlich nicht auf das Segment einer schicken Mittelklasse beschränkt, sondern generations- und klassenübergreifend strukturiert ist, mithin das Museum als „Versammlungsort Gleichberechtigter“ (Jürgen Habermas) konzipiert, deuten die Möglichkeit einer Besinnung auf historische Alternativen zumindest an.
Dabernigs Proposal offeriert einen Katalog, aus dessen Angeboten sich die diskursive Realität eines New Kunsthaus so oder anders herstellen lässt. Er umfasst neben den postmodernen Populismen und ihrer ökonomischen Färbung gleich auch die Möglichkeit der nicht weniger postmodernen Gegenbewegung in Form nostalgischer Exkursionen in eine erinnerte Moderne. Zugleich ruft die ästhetische Form der Bilder und ihrer Beschriftung jene Phase konzeptueller Kunst ins Gedächtnis, die – etwa bei Dan Graham oder Gordon Matta-Clark – am Anfang der künstlerischen Kritik einer architektonischen Moderne stand, die sich ins Lager der Bürokratie und des Kapitals geschlagen hatte.

Christian Kravagna

(1) Victor Beyer, Das ‚verstädterte‘ Museum, in: Das Museum der Zukunft, hg. von Gerhard Bott, Köln: DuMont 1970, S. 23f.

Josef Dabernig - Proposal for a New Kunsthaus, not further developed. Eva Maria Stadler (Hg.), Grazer Kunstverein, 2004

Christian Kravagna
2004