Die Macht des Zusammenhangs

Die Kontextualität der künstlerischen Arbeit Josef Dabernigs scheint im gegenständlichen Fall eine dreifach bestimmte: aus dem institutionellen Rahmen der Präsentation, von der Funktionslogik des Raumes sowie durch das historische Bezugsfeld des zugrundeliegenden Ansatzes.

Wien hat kein Loos-Museum und kein Kokoschka-Museum. Welchem Repräsentanten der österreichischen Moderne wurde je die Ehre eines eigenen Museums zuteil? Auf dem Feld der bildenden Künste jedenfalls keinem einzigen. Und die anderen bedeutenden Vertreter eines aufgeklärten, kritischen Geistes? Das Haus Ludwig Wittgensteins hat man rechtzeitig der bulgarischen Botschaft überlassen, um nicht durch die architektonische Hypothek auf die Bewahrung des intellektuellen Erbes verpflichtet zu werden. Und als dem verdrängten Freud endlich wieder eine heimatliche Wohnung zukommen sollte, da mußte man sie zur Hälfte leer belassen und zur anderen mit Surrugaten ausstatten, da mit der Vertreibung des Geistes auch dessen materielle Substrate verloren waren. Es ist nicht gesagt, daß die Musealisierung des Geistes seiner Rettung dient, und darauf kommt es an dieser Stelle auch gar nicht an. Allein die Tatsache der Existenz eines "Gustinus Ambrosi Museums" aber rechtfertigt das Feststellen des völligen Fehlens von vergleichbaren Institutionalisierungen des offiziellen Kulturbewußtseins auf der modernen Gegenseite. Wenn dieses Staatsmuseum für einen Einzelkünstler in Wien also eine singuläre Erscheinung ist, und der solcherart Ausgezeichnete die bizarre Gestalt einer raffinierten Stilmischung aus neoklassizistischem Pathos, symbolistisch verbrämtem Erotizismus und staatstragendem Monumentalismus verkörpert, dann wird die bloße Etikettierung dieses Phänomens als "Kuriosität" nicht ausreichen. Die staatlich verankerte Gedenkstätte für eine dezidiert anti-moderne Künstlerfigur, deren gemeißeltes Körperideal voyeuristischen wie volkshygienischen Gelüsten gleichermaßen entgegenkam, kann nicht anders denn als paradigmatischer Fall für eine reaktionäre Kulturpolitik der Nachkriegsjahrzehnte gelesen werden, deren Folgen bis in die Gegenwart reichen. Rund um die Uhr bewacht, wird heute noch ein vermeintlicher Schatz gehütet, dessen Existenz etwa bei Alfred Schmeller schon 1963 auf heftige Kritik gestoßen war: "Da gibt es einen gewissen Ambrosi, einen Bildhauer mittlerer Güte...Für die Kultur ist hinten und vorne kein Geld vorhanden. Aber dem Ambrosi hat man aus öffentlichen Geldern ein Atelier für zehn Millionen Schilling gebaut. Es ist 500 Quadratmeter groß. Zwei Michelangelos würden da hineinpassen..." (Kurier, 27. 2. 1963)

In zwei Punkten muß die historische Stimme aus heutiger Sicht revidiert werden. Einmal war die "mittlere Güte" zweifellos ein Zugeständnis, vor allem aber geht es heute nicht mehr vordringlich ums Geld sondern um die Frage der kulturellen Selbstrepräsentation. Wenn in solchen Bastionen anti-moderner Gesinnung Ausstellungen zeitgenössischer Kunst veranstaltet werden, dann kann dies zwangsläufig nicht ohne Konflikte ablaufen. Jede sich von ihrem prekären institutionellen Hintergrund unberührt gebende Ausstellung wäre lediglich als Perpetuierung der Verdrängungsmaschinerie mit umgekehrten Vorzeichen aufzufassen. Kaum irgendwo tritt die dünne Decke so plastisch vor Augen, die ein scheinbar gefestigtes aufgeklärtes kulturelles Bewußtsein von den weiterhin brodelnden Mächten des mythengesättigten Unbewußten trennt, wie im unmittelbaren Tür an Tür beider Welten. In diesem Rahmen kann es daher keine unpolitische Ausstellung geben.

Die Ausstellung Josef Dabernigs macht dies in sehr spezifischer Weise deutlich. Ohne explizite Bezugnahme, ohne die sich anbietende reaktive Geste, rückt stellvertretend für das Gesamtproblem ein wesentliches Moment der österreichischen Kunstgeschichtsschreibung in den Blick: die Verdrängungsgeschichte der analytischen, konkreten und konstruktiven Kunst. Die österreichische Kunstgeschichte - wobei diese selbst und die sie überlagernden Diskurse einander komplettieren - steht im Zeichen der Empfindung, zwischen expressivem Pathos und sentimentaler Verklärung. Die Plastik Ambrosis stellt mit der Verschmelzung beider Pole insofern ihren zur Fratze erstarrten Idealtypus dar. Sie ist - in all ihrer gesellschaftlichen Anerkennung, vom ersten Staatsatelier des Zwanzigjährigen, über die Porträtaufträge für Dollfuß, Schuschnigg und Mussolini bis hin zur Museumsgründung noch zu Lebzeiten in den siebziger Jahren - Repräsentant eines feudal-katholizistischen Kunstbegriffs, der seine gesellschaftlichen Grundlagen überdauerte.

Am Ort des institutionell zementierten Anti-Modernismus bringen Josef Dabernigs Rastersysteme, deren minimalistische Formen auf mathematischen Operationen basieren und in industriellem Material ausgeführt sind, sowohl vom konzeptuellen Ansatz als auch von der ästhetischen Lösung her die rationalistische, auf Transparenz und Entmystifikation zielende Haltung der konstruktiven Tradition ins Spiel. Die Position der Aufklärung, die in diesem ganz spezifischen Kontext noch einmal die Debatte mit den Mythen vom heroischen Schöpfertum und idealen Menschenbild auszutragen hat, stellt sich in anderen Zusammenhängen als selbst gespaltene und in internen Debatten begriffene dar. Dort, wo Aufklärung und Rationalismus sich im kritischen Diskurs über ihr eigenes Verhältnis von Ideal und Realisation befinden, ist der eigentliche Ort von Dabernigs künstlerischen Überlegungen anzusiedeln.

Ehe aber auf diesen historischen Kontext einzugehen ist, muß noch eine zweite Ebene des Kontexts Ausstellungsort bedacht werden, auf die sich Dabernigs Installation bezieht. Neben dem kulturpolitisch definierten institutionellen Rahmen ist die Funktionsbestimmung der Räumlichkeiten als Atelier von Relevanz. Die Berücksichtigung der Ateliersituation, die eine andere ist als die einer Galerie oder eines Museums, was auch die unterschiedliche Präsentation der Ambrosi-Plastiken in Atelier und Museum beweist, veranlaßt Dabernig dazu, anstatt einer eigens für den Raum konzipierten Arbeit zwei ältere Ausstellungen gewissermaßen zwischenzulagern. Dem Atelier als dem die Entstehungszusammenhänge der Einzelwerke nivellierenden Ort kommt im allgemeinen die Funktion eines Warteraums für Arbeiten zu, deren Öffentlichkeitsstatus noch nicht, nicht mehr, oder vorübergehend nicht aktuell ist. Hier ist eine Ökonomie der Lagerhaltung gefordert, in der die räumlichen Vorgaben über die Ansprüche der Werke dominieren. Die ursprünglich in einer Ausstellung in Rom gezeigten sechs Alu-Raster werden entsprechend den architektonischen Bedingungen auf fünf reduziert, womit der inneren Logik eines selbstbezüglichen Systems die Pragmatik des äußeren Zusammenhangs aufgezwungen wird. Eine solche Entscheidung, wie sie in ähnlicher Form die aneinandergereihten und auseinandergefalteten einstigen Wannenformen der zweiten Arbeit betrifft, deren letzte aus Platzmangel nun eine Seitenwand zu opfern hat, bezeichnet bereits die charakteristische Verfahrensweise in Dabernigs künstlerischer Praxis: die Konstruktion eines autonomen rationalen Systems mit strikter Befolgung seiner Regeln bis zum Moment eines notwendigen Bruchs aus Gründen systemtranszendenter Voraussetzungen.

Diese scheinbar widersprüchliche Doppelbestimmung des Handelns als Dialektik von Programmatik und Pragmatik ist dabei als der habituelle Niederschlag der der gesamten Arbeit zugrundeliegenden Befragung der Tragfähigkeit rationalistischer Systeme zu verstehen. Wie die Studien zur Dialektik der Aufklärung dargelegt haben, ist nicht nur der eingangs am konkreten Fall angesprochene natur- und religionsverhaftete mythologische Traditionalismus von einer Verdrängungsgeschichte geprägt, sondern auch ihr Gegendiskurs im Zeichen der Vernunft. Und wie die jüngere Geschichte gezeigt hat, ist die Indienstnahme durch den Totalitarismus nicht nur dem figurativ pathetischen Monumentalismus vorbehalten, sondern beispielsweise auch von einem Konstruktivisten wie Rodtschenko akzeptiert worden. Was Dabernigs Systematik vom größten Teil der konstruktiv-rationalistischen Tradition abhebt, ist das Bewußtsein der darin implizit vorhandenen Ausgrenzung des Heterogenen. Dabernigs mathematischer Rationalismus ist durch das offensichtliche Schuldigbleiben einer kommunizierbaren Letztbegründung ein fetischisierter Rationalismus. Das Konzept des unbeirrbaren Befolgens der konsequenzlogischen Schritte eines festgelegten Planes, nach dem sich die plastischen Resultate ohne Rücksicht auf ästhetische Wirkungen formen, leistet die Kritik des intuitionsbestimmten Schöpfersubjekts durch die Verpflichtung auf Objektivität. Doch die Obsessivität, mit der scheinbar sinnlose Spielregeln entworfen und eingehalten werden, bringt die psychologischen Dimensionen des Objektivierungsbestrebens zurück in den Diskurs der Rationalität. Die beständige Variation und Permutation systemischer Komponenten wird zum paradigmatischen Ritual eines sich seiner Autonomie vergewissernden Subjekts. Die modellhaft künstlerisch inszenierte Selbstreglementierung als Gegenstrategie zur gesellschaftlichen, wie sie in Dabernigs Systemen vertreten ist, unterliegt durch die pragmatischen Konzessionen einer nüchternen Einschätzung ihrer Aussichten. Wenn sich analytische Klarheit und die Idee der Transparenz künstlerischer Praxis also weiter als tragfähig erweisen, dann unter Einrechnung eines Korrektivs, das sich durchaus aus den vom Konstruktionsdogma ausgegrenzten Potentialen des Absurden und Anarchischen beziehen läßt. Damit wäre sowohl der eigenen Ideologieanfälligkeit Vorschub geleistet wie der Wiederkehr der verdrängten Irrationalismen.

Josef Dabernig 2x2x6 3x12+3x10 11+2x12+3x10. Atelier beim Ambrosi-Museum (später umbenannt in Atelier Augarten und erneut umbenannt in Augarten Contemporary), Österreichische Galerie Belvedere, Wien, 1993

Christian Kravagna
1993